Er wurde genau 26 und ein halbes Jahr alt: Als Wolfgang Borchert am 20. November 1947 in Basel starb, hatte er trotz seines kurzen Lebens ein literarisches Werk aus Lyrik, Prosa und Drama geschaffen, das nicht nur Mittelschülerinnen und -schüler beschäftigt, sondern auch bei wiederholtem Lesen oder auch nur Schmökern unter die Haut geht: wortgewaltig, bildhaft, oft getrieben wirkend, aus seelischer Notwendigkeit und auch Not aus diversen Tiefen an die Oberfläche gebracht. Das Praktische daran: Seine ganzes Schreiben hat in einem Taschenbuch Platz. Dieses im Regal stehen zu haben, finde ich empfehlenswert.
Wolfgang Borchert: Das Gesamtwerk
Ein besessener Mensch, der seismographisch jede Erregung notierte: Alfred Andersch beschreibt in seinem Vorwort Wolfgang Borchert treffend. Mich berührt das Werk immer wieder tief.
Ein ganzes Lebenswerk auf gut 300 Seiten: Das geht bei Borchert. Seine Schaffenszeit dauerte nur zwei Jahre. (Foto: Marius Schären)
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Der «reformiert.»-Adventskalender: 24 beste Bücher – eine persönliche Auswahl
Es ist zwar nur ein Haufen Papier, etwas Karton und Farbe – aber ein Buch kann es wahrlich in sich haben. Die Welten, die sich darin eröffnen, bewegen uns und unser Leben.
«reformiert.» präsentiert als Adventskalender 2022 jeden Tag bis zu Weihnachten ein persönliches Lieblingsbuch. Mitglieder der Redaktion und der Geschäftsstelle schreiben, warum sie gerade dieses ausgewählt haben, und verraten etwas zum Inhalt.
Borchert, in Hamburg geboren, war Buchhändler und dann Schauspieler, bevor er im zweiten Weltkrieg 1941 als 20-Jähriger an die Ostfront kam. Vier Jahre später kehrte er ins zerbombte Hamburg zurück – da war er bereits chronisch fieberkrank. Und nun schrieb und dichtete er praktisch im Wettlauf mit dem Tod.
Sein in acht Tagen niedergeschriebenes Drama «Draussen vor der Tür» erlangte wohl die grösste Bekanntheit. Die Geschichte von Beckmann, der aus dem Krieg heimkehrt und dem es nicht gelingt, sich wieder ins Zivilleben einzugliedern. Die Erfahrungen haben ihn geprägt, doch die Menschen um ihn haben die Vergangenheit längst hinter sich gelassen. Beckmann sucht seinen Platz in der Gesellschaft und fordert Moral und Verantwortung von unterschiedlichsten Menschen, und auch von Gott und dem Tod. Doch er bleibt aussen vor, und seine Fragen bleiben ohne Antworten.
Hochkonzentriert bewegend und berührend
Ja, das klingt hoffnungslos. Und ja, das zieht sich weitgehend durch Borcherts fiebriges Schaffen. Wer lustige und/oder leichte Kost will, mag weitergehen. Das tu ich auch. Aber bewegend und berührend finde ich wenig in solcher Konzentration so stark wie so manches aus dem Werk des jungen Mannes. Und praktisch alles ist hochaktuell.
Ganz speziell – das gebe ich gerne zu – wollte ich diesen Tipp bringen wegen einem Text: «Dann gibt es nur eins!». Er schrieb ihn wenige Tage vor seinem Tod, den Atombomben-Abwurf von Hiroshima vor Augen, und es ist ein fiebriger, gellender Warnruf an uns alle: «Sag nein!», wenn es darum geht, irgendetwas zu tun im Dienst des Krieges.
Der Text findet sich auch im Internet, und er lässt sich so einfach weitergeben.
Literaturangaben
Wolfgang Borchert: Das Gesamtwerk. Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, 1991.