Dieses Buch lässt tief eintauchen in die «deutsche Seele», wie sie Thomas Mann zu seiner Zeit und ganz besonders vor der Kulisse des Dritten Reichs erlebte: eine Volksseele, die von Bildungsliebe, einem faustischen Drang zur Transzendenz, mittelalterlichem Geist und einem Hang zum Dämonischen geprägt war.
Thomas Mann: Doktor Faustus
«Doktor Faustus» von Thomas Mann entführt in die stolze und isolierte Welt des Komponisten Adrian Leverkühn, der subtil mit dem Bösen im Bund zu stehen scheint.
Roman eines Künstlerlebens, erzählt von einem einfühlsamen Freund. (Foto: Hannes Herrmann)
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Der «reformiert.»-Adventskalender: 24 beste Bücher – eine persönliche Auswahl
Es ist zwar nur ein Haufen Papier, etwas Karton und Farbe – aber ein Buch kann es wahrlich in sich haben. Die Welten, die sich darin eröffnen, bewegen uns und unser Leben.
«reformiert.» präsentiert als Adventskalender 2022 jeden Tag bis zu Weihnachten ein persönliches Lieblingsbuch. Mitglieder der Redaktion und der Geschäftsstelle schreiben, warum sie gerade dieses ausgewählt haben, und verraten etwas zum Inhalt.
Der Teufel taucht in der Erzählung in unterschiedlicher Gestalt und in unterschiedlichen Situationen auf, im Bildungszirkel der alten Kleinstadt Kaisersaschern, später an der theologischen Fakultät zu Halle oder während eines längeren Aufenthalts des Protagonisten Adrian Leverkühn in Italien. Der Dämon bezeichnet sich selbst als im Volk tief verwurzelte, «urdeutsche» Gestalt. Er spreche alle Sprachen, aber die deutsche sei ihm von allen gerade die liebste, doziert er an einer gespenstischen Schlüsselstelle des Romans.
Das Böse und das Geniale
Hauptperson des Buches ist der im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts wirkende fiktive Komponist Adrian Leverkühn; seine Geschichte wird von seinem Freund und ehemaligen Jugendgespielen Serenus Zeitblom einfühlsam erzählt. Leverkühn wird immer wieder auf seltsame, zufällig und zugleich planvoll scheinende Art vom Dämonischen heimgesucht, das, so scheint es, ihn zum Schaffen und zu ausserordentlicher Leistung erst so richtig befähigt und befeuert.
Dieser Roman ist nicht nur eine brillant erzählte Geschichte mit lebensvollen Charakteren, sondern auch das feinsinnige Psychogramm einer bewegten Epoche und die zeitlose Geschichte einer Freundschaft, die allen Hindernissen trotzt und Treue hält bis zuletzt.
«Doktor Faustus» ist einer meiner Lieblingsromane deshalb, weil ich ihn wiederholt lesen kann, ohne das Gefühl zu haben, mich auf längst vertrautem Terrain zu bewegen. Die Lektüre eröffnet mir immer wieder Neues, Noch-nicht-Wahrgenommenes, in tiefen Schichten Verborgenes: ein Roman der Weltklasse.
Literaturangaben
Thomas Mann: Doktor Faustus. Erstveröffentlichung 1947. Aktuelle Ausgabe: S. Fischer, 1980