Schon der erste Satz zieht die Leserin mitten in die Geschichte hinein: «I was not sorry, when my brother died.» Zu Deutsch: «Ich war nicht traurig, als mein Bruder starb.» Doch der Grund, weshalb ich mir «Nervous Conditions» von Tsitsi Dangarembga, einer Schriftstellerin und Filmemacherin aus Simbabwe, anschaffte, war ein anderer. 2021 gewann Dangarembga den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, ich durfte via Zoom ein Interview mit ihr führen, das mich tief beeindruckte. Ich wollte daher mehr wissen über das Leben dieser Frau, die sich seit Jahrzehnten für feministische Anliegen einsetzt und gegen Repression und Korruption im eigenen Land kämpft.
Tsitsi Dangarembga: «Nervous Conditions»
Die Simbabwerin Tsitsi Dangarembga zeichnet mit «Nervous Conditions» den Weg der 13-jährigen «Tambu» nach, die dem Dorfleben entschlüpft und um Bildung kämpft.
Die Protagonistin Tambudzai ist 13 Jahre alt, als sie das elterliche Haus verlässt. (Foto: Nadja Ehrbar)
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Der «reformiert.»-Adventskalender: 24 beste Bücher – eine persönliche Auswahl
Es ist zwar nur ein Haufen Papier, etwas Karton und Farbe – aber ein Buch kann es wahrlich in sich haben. Die Welten, die sich darin eröffnen, bewegen uns und unser Leben.
«reformiert.» präsentiert als Adventskalender 2022 jeden Tag bis zu Weihnachten ein persönliches Lieblingsbuch. Mitglieder der Redaktion und der Geschäftsstelle schreiben, warum sie gerade dieses ausgewählt haben, und verraten etwas zum Inhalt.
In «Nervous Conditions» und den nachfolgenden zwei Bänden «The Book of Not» und «This Mournable Body» der Trilogie sind auch autobiographische Elemente zu finden. Die Geschichte handelt von der 13-jährigen Tambudzai, die Ende der 1960er-Jahre in einem Dorf in Rhodesien, dem heutigen Simbabwe, lebt. Die Familie ist arm, sie kann das Schulgeld nur für den ältesten Sohn aufbringen. Als dieser überraschend stirb, darf «Tambu» seinen Platz an der Missionsschule ihres Onkels einnehmen.
«Tambu» ist erst einmal froh, dass sie der strengen Arbeit auf den Feldern und im Haus der Familie, dem Schmutz und der stinkenden Latrine entfliehen kann, wo «grosse blaue Fliegen mit ekelhaft orangen Köpfen» umherschwirren. Im Haus ihres Onkels, wo alles sauber und geordnet zu und hergeht, wähnt sie sich zuerst im Paradies. Doch dann entfremdet die sich immer mehr von ihrer Familie und zahlt einen hohen Preis für die Bildung, die sie erhält.
Schonungslos und lebendig
Dangarembga erzählt bildhaft, lebendig und schonungslos. Das gefällt mir. Sie nimmt mich mit in eine Welt, die mir fremd war, in eine Gesellschaft, die von Kolonialismus und Patriarchat geprägt ist. Und ich leide mit, wenn «Tambu», von ihren Überzeugungen geleitet, rebelliert und dabei immer wieder an Grenzen stösst. Ob sie es am Ende schafft, «aus der besten Ausbildung, die ein Mädchen in Rhodesien erhalten kann» etwas zu machen, werden mir die zwei nachfolgenden Bände zeigen. Alle Bände der Trilogie gibt es mittlerweile auch in deutscher Übersetzung.
Literaturangaben
Tsitsi Dangarembga: «Nervous Conditions», Faber & Faber Limited, London, 1988; deutsche Übersetzung: «Aufbrechen», Orlanda-Verlag, Berlin 2019. Nachfolgende Bände: «Verleugnen» und «Überleben», beide Orlanda Verlag, Berlin 2022 und 2021.