Es war schon dunkel und etwas Vorweihnachtliches lag in der Luft, als wir uns am Sonntagabend in der Ritterhauskapelle in Uerikon zum Gottesdienst versammelten. Während der Predigt konnte meine Geigenschülerin Pearl vor Aufregung kaum stillsitzen. Denn danach stand unser «Ave Maria» als Zwischenspiel auf dem Programm. Die 17-jährige Pearl mit Downsyndrom ist ein Sonnenschein. Seit Mitte August arbeiten wir an Schuberts Werk, Woche für Woche. Sie nimmt das sehr ernst, übt beinahe täglich.
Dann ist es so weit: Pearl und ich stehen etwas erhöht im Chor. Der Organist beginnt zu spielen, das «Ave Maria» erklingt im alten Gewölbe. Pearl spielt schön, sehr rein, im Takt, mit Hingabe und Liebe. Nach dem letzten Ton strahlt sie über das ganze Gesicht. Wir setzen uns, und Pearl flüstert mir ins Ohr: «So, fertig jetz mit ‹Ave Maria›. Nächschti Wuche fang ich mit mym Lieblingssong, em ‹Fight Song› a.» Etwas aus vollem Herzen erleben. Und dann bereit sein für etwas Neues. Das hat mich berührt und beeindruckt.
Sibylle Terrasi, 48, ist ehrenamtliche Mitarbeiterin der Kirchgemeinde Stäfa.