Zu Bignas «Entsorgungsstelle für liegengebliebene, doppelte und ungeliebte Geschenke» stand die Tür offen, und als ich vorbeiging, rief Bigna mich herein. Ich setzte mich mit an den Tisch und sah zu, wie Bigna schweigend Schuhbänder sortierte. Das Kind war lang und dünn geworden, die schwarzen Locken fielen über den schwarzen Rollkragen und erinnerten mich irgendwie an Jeanne d’Arc in ihrer Rüstung. Auf dem Tisch lag ein Smartphone. Ich fragte: «Verkaufst du das? Meines lässt sich nicht mehr richtig laden.»
«Zeig her.» Bigna untersuchte mein Handy, kratzte mit dem Fingernagel Blue Tack von der Wand, wo einmal ein Poster gehangen hatte, knetete es weich und machte damit an der Ladebuchse herum. Nebenbei berührte das Kind, das kein Kind mehr war, sein eigenes Handy, für Sekunden leuchtete das Foto eines Segelschiffs auf. «Ist das deines?», fragte ich. «Das Schiff? Nein.» «Ich meine das Handy.» Bigna nickte kaum merklich und sagte: «Mein Bap hat es mir gegeben. Damit wir telefonieren können.» Es klang irgendwie beklommen.
«Dein Bap?» Jahrelang hatte niemand von ihm gesprochen, er war verschwunden, als Bigna noch ein Baby war. Bigna nickte. «Er lebt in Chur. Er hat dieses Boot auf dem Walensee. Und ein Haus. Er will, dass wir zu ihm ziehen.» «Und was sagt deine Mutter?» Bigna zuckte mit den Achseln. «Sie müsste nicht mehr weben.» Plötzlich flossen Tränen über die gebräunte Haut. «Ich will nicht weg. Ich will, dass alles immer so bleibt wie früher. Aber in Chur gibt es eine gute Schule. Hier muss ich mich dauernd prügeln.» «Prügeln? Zeig mir den Kerl ...» «Kein Kerl, es sind Mädchen. Es passt ihnen nicht, dass ich anders bin. Egal, ich kann mich schon wehren.» Bigna schniefte und wischte trotzig die Tränen weg. «Und Mama sagt, ich komme in die Pubertät. Ich hasse es.» Sie gab mir mein Handy zurück und nahm meine Hand.
Für einen Augenblick war alles wie früher. «Ich finde es super, dass dein Bap sich um euch kümmern will», log ich. «Und hier hast du immer einen Platz.» Bigna grinste, wieder ganz Kind, und sagte: «Ich weiss. Heute früh habe ich Erdbeeren von eurem Beet gestohlen. Wie früher.»