Beinahe wäre Bignas Wegzug noch gekippt. Gestern Abend erhielt ihre Mutter einen Anruf, dass Andri bei der Arbeit von einem Baugerüst gestürzt und mit Verdacht auf schwere Kopfverletzungen ins Krankenhaus Samedan geflogen worden war. Der letzte Bus über den Ofenpass ins Engadin war fort, Chatrina hatte keinen Führerschein, sie wollte sich durch die Meldung auch nicht verrückt machen lassen. Doch Bigna schrie: «Soll ich hier herumsitzen, während Bap womöglich stirbt?» Und so setzte ich mich in den Cinquecento, und wir zwei fuhren nach Samedan.
Es war eine mondhelle Nacht. Die knorrigen Arven sahen aus wie winkende Geister, Lärchen mit Ästen so fein wie Spinnweben wiegten im Wind und liessen goldene Nadeln auf unsere Windschutzscheibe regnen. «Wie bei einer Hochzeit, wenn jemand Reis wirft», stellte Bigna fest. Abgesehen davon schwieg das Kind und übte im schwachen Licht der Kartenleuchte Seemannsknoten.
Erst als wir Buffalora passierten, fragte Bigna: «Was, wenn er nun stirbt?» Ich stellte klar: «So schnell stirbt man nicht.» «Ja, aber wenn, dann könnte ich bei euch bleiben, und alles wäre wie immer. Es wäre, wie wenn Bap nie zurückgekommen wäre.» Ich warf Bigna einen Blick zu. «Würdest du das wollen?» Bigna antwortete nicht, sie sagte nur, wieder eine Weile später: «Es stimmt auch nicht. Es wäre nicht wie früher. Wir hätten das Haus und das Boot, und Mama hat schon eine neue Stelle.»
Mir schien, Bigna weinte, ich hielt an und liess die Scheiben herunter. Bergluft umspülte uns, fern röhrte ein Hirsch. Nein, Bigna weinte nicht, sie sah mit scharfem Blick in die Nacht hinaus und sagte: «Stirbt Bap, dann ist es gut, dass er noch mal eine Familie hatte. Stirbt er nicht, habe ich endlich einen Bap. Vielleicht einen im Rollstuhl oder einen, der nicht mehr richtig im Kopf ist. Aber er ist mein Bap, mein richtig echter Bap. Fahr weiter.»
Andri hatte dann nur eine Hirnerschütterung und einen gebrochenen Arm. Er war wach, als wir kamen, und Bigna führte ihm vor, wie schnell und sauber sie den Palstek knüpfen konnte.
