Ab wann ist mein Essen eigentlich mein Essen?

Kindermund

Bigna will kein Fleisch mehr essen. Daraus werden mit einem Schwein zusammen drei Probleme. Doch dann wird das Puppengeschirr zur Lösung.

«Ich habe ein Problem», erklärte Bigna, als ich heute im Garten die Bohnen hochband. «Ich will ja kein Fleisch mehr essen.» «Was ist daran das Problem?» «Das Problem ist Chatrina.» Chatrina ist Bignas Mutter. «Sie schimpft, dass ich nicht aufesse. Sie sagt, sie wolle nicht andauernd Essen wegwerfen, während in der Welt viele Kinder verhungern. Deshalb will sie ein Schwein kaufen.» «Und das ist also ein Problem für dich?», fragte ich.

«Es sind sogar zwei Probleme. Erstens will Chatrina das Schwein irgendwann schlachten, und dann gibt es nur noch Schwein auf den Tisch, sagt sie, und zwar so lange, bis alles aufgegessen ist. Egal, ob ich Vegetarierin bin oder nicht. Und zweitens ist ja gar nicht gesagt, dass dem Schwein das genügt, was ich nicht esse. Und wenn es ihm nicht genügt, muss ich entweder noch weniger essen und habe immer noch Hunger, oder wir müssen das Schwein zusätzlich füttern, obwohl gleichzeitig andere Kinder verhungern.» «Ganz abgesehen davon, dass jemand das Schwein dann auch noch töten muss, das es nur deshalb gibt, weil du nicht aufgegessen hast.»

Bigna stöhnte. «Stimmt, sogar drei Probleme!»

Ich machte mich daran, die Kartoffeln anzuhäufeln. «Eigentlich», überlegte sie, «darf keiner ausser mir darüber bestimmen, was mit meinem Essen geschieht, oder? Das ist überdingsda.» «Übergriffig?» «Genau. Denn was ich esse, wird ja zu mir, zu meinem Körper, und über meinen Körper bestimmt nicht mal Chatrina.» «Nur isst du es ja eben nicht.» «Aber es ist auf meinem Teller!» «Ich wette, den Teller hat Chatrina gekauft. Wer gibt dir denn das Essen auf den Teller, du oder Chatrina?» «Inzwischen ich, weil sie mir immer zu viel gegeben hat. Aber ich gebe mir auch zu viel. Solange ich hungrig bin, denke ich, ich esse das locker. Aber dann bin ich satt, und der Teller ist noch halb voll.» Mutlos starrte sie vor sich hin.

Ich schenkte ihr eine Erdbeere, welche die Schnecken übersehen hatten. «Aber vielleicht ist überhaupt nur der Teller das Problem. Nimm doch mal einen so kleinen, dass höchstens eine halbe Portion darauf Platz hat.» Sie begann zu strahlen. «Mein Puppengeschirr», rief sie und rannte los, um es mir zu zeigen.

Tim Krohn, 52

Der freie Schriftsteller wurde in Nordrhein-Westfalen geboren, wuchs ab seinem zweiten Lebensjahr in der Schweiz im Glarnerland auf und wohnte danach gut zwanzig Jahre lang in Zürich. Inzwischen lebt er mit Frau und Kindern in Santa Maria Val Müstair.

Für «reformiert.» schreibt Krohn seit Anfang 2017 die Kolumne «Kindermund», anfangs ein Jahr lang im Wechsel mit Richard Reich (Schöpfungen).

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