Tee aus einem «Schnapsglas»

Advent 2025

Erstmals kam Hans Herrmann bei einem syrischen Interviewpartner mit jenen hübschen kleinen Gläsern in Berührung, die Teegläser sind, aber eher an Schnapsgläser erinnern.

Die Vorstellung, dass im arabischen Kulturkreis vor allem Kaffee getrunken wird, ist falsch: Schwarztee, oft gewürzt und stark gesüsst, ist mindestens ebenso beliebt. So servierte mein in der Schweiz lebender Gesprächspartner aus Syrien, den ich für eine Tageszeitung interviewen wollte, bei sich zu Hause Tee in sehr kleinen Gläschen. Sie waren so klein, dass ich sie zuerst für Schnapsgläser hielt.

Mein Gastgeber lachte. «Nein, das sind Teegläser, wie sie im Nahen Osten allgemein benützt werden. Sie sind nicht sehr hitzefest, deshalb muss man die heisse Flüssigkeit langsam einfüllen, damit sie nicht zerspringen.» Was trotz aller Vorsicht immer wieder vorkomme. 

Tee, Brot, Öl, Kräuter

Deshalb halte seine Frau einen grossen Vorrat an Gläschen, die sie jeweils von den Reisen in die alte Heimat mitbringe. Er deutete auf ein Salontischchen neben dem Esstisch, das vollgestellt war mit kleinen, in Goldfarbe verzierten Gläschen, die sich nur gering in Form und Grösse unterschieden.

Zum Tee assen wir Weissbrot, das wir in Olivenöl tunkten und mit Saatar, einem speziellen Kräuterpulver, würzten. Mein Gastgeber erzählte mir, dass er sich bei Tee, Brot und Öl immer an seine Kindheit erinnert fühle, denn das sei seinerzeit das typische Morgenessen gewesen, stärkend und belebend. «Zum Saatar entfaltet der Tee sein Aroma besonders gut», erklärte er.

Seiner Freude gab er Ausdruck, indem er mir zum Abschied vier seiner Teegläschen schenkte, eingewickelt in Papier jener Zeitung, bei der ich damals angestellt war.

Als ich ihm sagte, dass ich selber ebenfalls nicht zu den Kaffeetrinkern, sondern zu den gewohnheitsmässigen Schwarzteetrinkern gehöre, staunte er. Das sei in der Schweiz selten, meinte er. Und freute sich offenkundig, in seiner Wahlheimat auf einen teeaffinen Gesinnungsgenossen gestossen zu sein.

Seiner Freude gab er Ausdruck, indem er mir zum Abschied vier seiner Teegläschen schenkte, eingewickelt in Papier jener Zeitung, bei der ich damals angestellt war. Das war vor vielleicht 25 Jahren, zu einer Zeit also, in der die kleinen Teegläser aus dem Osten hierzulande noch kein alltäglicher Anblick waren.

Eines habe ich noch

Unterdessen kann man sie in Schweizer Städten in allen Orientmärkten kaufen. Ich habe bereits viele erstanden, weil sie tatsächlich die Tendenz haben, irgendwann zu zerspringen, wenn nicht beim Eingiessen des Tees, dann im heissen Spülwasser. Aber eines der vier Gläschen, die mir der Mann aus Syrien einst geschenkt hatte, habe ich noch immer. 

Ich schone es, denn es markierte den Anfang meiner noch immer gepflegten Gewohnheit, den Tee in kleinen türkischen beziehungsweise orientalischen Gläsern zu trinken. Kräftig und süss, wie er meiner Meinung nach sein muss. Besonders jetzt, im Winter. 

Adventskalender 2025: Unsere liebsten Dinge

Wir alle haben das wohl: Dinge mit Geschichte und Geschichten.

Gegenstände, die einem ganz persönlich wichtig und wertvoll sind, auch ohne materiellen Wert. Und zu denen wir lustige, spannende, herzerwärmende, nachdenklich stimmende Geschichten erzählen können.

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