«Ich steh an deiner Krippen hier», das Lied mit dem Text von Paul Gerhardt in der Vertonung von Johann Sebastian Bach ist im Kirchengesangbuch zu finden. Ganz besonders die zweite Strophe lässt die sprachlichen Fähigkeiten und tiefe Menschlichkeit des Texters erahnen:
«Da ich noch nicht geboren war, da bist du mir geboren, und hast mich dir zu eigen gar, eh ich dich kannt, erkoren. Eh ich durch deine Hand gemacht, da hast du schon bei dir bedacht, wie du mein wolltest werden.»
Das Neugeborene steht über der Zeit. Der scheinbar machtlose kleine Mensch steht für die Lebendigkeit an sich. Und für das Band zu Gott, das schon vor unserer Geburt geknüpft wurde.
Leben während des Dreissigjährigen Krieges
Paul Gerhardts Leben war - wie man heute sagen würde - filmreif. 1607 wurde er in Gräfenhainichen in Sachsen-Anhalt in eine Gastwirtsfamilie hinein geboren. Bald schon litten die Menschen dort unter den Folgen des Dreissigjährigen Krieges (1618-48): Hungersnöte, Seuchen, Übergriffe durch Soldaten.
1619 starb Pauls Vater, zwei Jahre darauf seine Mutter. Trotzdem konnte der junge Mann eine Schule besuchen und später in Wittenberg Theologie studieren. Doch auch hier grassierte der Krieg und 1936 auch die Pest. In Berlin, wo nach dem Krieg, einer Pocken- und Ruhrseuche noch knapp die Hälfte der Bevölkerung lebte, fand der frischgebackene Pfarrer eine Stelle.
Dort fing er auch an, seine Erlebnisse und seine Gefühle in Liedtexten zu verarbeiten. Als Theologe war er hoch geschätzt, heiratete spät noch, zeugte fünf Kinder, von denen vier starben, verlor bald schon seine viel jüngere Frau und starb 1676 in grosser Armut. Seine unzähligen Kirchenlieder, so etwa auch «Geh aus mein Herz und suche Freud» oder «Befiehl du deine Wege» haben ihn bis heute überdauert.
Lieder von der Vergänglichkeit
In Gerhardts Liedern klingt jenes barocke Lebensgefühl der Vergänglichkeit und des Hineingeworfenseins in eine Welt, die man ohne Spuren zu hinterlassen wieder verlässt. Auch wir suchen einen Weg durch die Anforderungen unserer Zeit, navigieren etwa durch die aktuelle Krise.
Nur haben wir, im Gegensatz zu den Menschen im 17. Jahrhundert, Desinfektionsmittel, Masken und ärztliche Versorgung. Auch das gibt keine Garantie zu überleben, aber immerhin eine gute Chance.