Der Sender im Hirn hält die Hand still

Dual Use

Durch Elektroden im Hirn kann Parkinson für die Betroffenen erträglicher gemacht werden. Doch die Schwelle zum möglichen Missbrauch ist rasch überschritten.

Parkinson ist eine unheilbare Krankheit. Starkes Zittern ist das bekannteste Symptom der Funktionsstörung im Hirn. Unter anderem werden auch Be­we­gun­gen verlangsamt, körperliche Starren sind möglich, Störungen des Ge­ruchssinns und des Schlafes. Kurz: Die Krankheit kann den Alltag der Betroffenen stark beeinträchtigen.

Die Ursachen sind noch nicht geklärt. Aber jede Symptombekämpfung bedeutet eine Erleichterung. Eine effektive Anwendung sei die tiefe Hirn­stimulation, sagt Marcello Ienca, Bio­ethiker und Neurotechnologe an der ETH. Der Eingriff mit einer Hirnoperation ist nicht ohne Risiko. Doch die Auswir­kungen sind erstaunlich.

Mit Fernbedienung einschalten

Durch eine Operation werden dem Patienten meist zwei Elektroden in Form feiner Drähte ins Hirn geführt. Diese Implantate können elektrische Wellen in bestimmte Hirnareale senden. Von den Elek­troden führt unter der Haut ein Kabel über den Hals zu einem Schrittma­cher, der im Un­terbauch oder unterhalb des Schlüssel­beins implantiert wird. Dieses kleine Kästchen ist der «Impuls­generator»: Er enthält eine Batterie und sendet in bestimmten Rhythmen elektrische Signale. In einem ambu­lanten Eingriff mit lokaler Betäubung kann er ausgewechselt werden.

Die Betroffenen können ihr Gerät mittels Fernbedienung ein- und aus­schalten. In einem Film zeigt Marcello Ienca die Wirkung: Ohne Stimulation im Hirn kann der gezeigte Patient wegen des starken Zitterns viele Handlungen nicht vornehmen, die eine gewis­se Feinmotorik verlangen, etwa Gefässe mit Flüssigkeiten halten, Knoten binden, Lesestoff in der Hand halten. Das Aktivieren der elektrischen Stimulation lässt das Zittern aber praktisch sofort nahezu verschwinden. Gemäss Marcello Ienca werden auch bei anderen Krankheiten Erfolge mit der tiefen Hirnstimulation erzielt: «Es haben sich gute Wirkungen gezeigt bei schwerer Depression, Zwangs­störung oder Epilepsie.»

Gedanken lesen in Aussicht

Das klingt verheissungsvoll. Und das Feld der neurotechnologischen Anwendungen ist in grosser Bewegung. Genau da ortet Marcello Ienca aber Gefahren. «Wenn wir die Hirnareale beeinflussen können, die das Zittern von Parkinson-Betroffenen auslösen, dann können wir im Prinzip auch an­dere Stellen beeinflussen», sagt der Wissenschaftler. «Es wird so möglich, Emotionen und ganze Persönlich­keiten zu beeinflussen und auch Gedanken zu lesen.»

Dass Letzteres Realität wird, ist für Ienca klar – es sei bloss eine Frage der Zeit. In China beispielsweise gebe es Firmen, die jetzt bereits forderten, Messungen in den Gehirnen der Angestellten vornehmen zu können. Das würde den Unternehmen ermöglichen, durch Anpassungen der Arbeitsaufgaben die Effizienz zu steigern. Auch beim Militär ist Neuro­tech­nologie ein grosses Thema. Wo­ran dort geforscht wird, ist zwar oft nicht publik, sagt Ienca: «Aber wenn etwas möglich ist, ist es nachvollziehbar zu erwarten, dass das Militär es auch macht.»