Auf bunten Sohlen für queere Jugendliche

Christlicher Nationalismus

In Texas geraten queere Jugendliche zunehmend ins Visier christlicher Nationalisten. Pastor John Leedy kämpft dagegen, doch Gesetze und religiöser Eifer erschweren seine Mission.

Converse-Schuhe mit Regenbogenstreifen an den Sohlenrändern, dazu geringelte Socken: In ihnen kann nur ein Individualist stecken, der es gewohnt ist, gegen den Strom zu schwimmen. John Leedy ist presbyterianischer Pastor und Direktor der Kin.dom-Community, eines texanischen Vereins, der queere Jugendliche unterstützt und fördert. 

«Kin.dom», nicht «Kingdom», betont Leedy, der an diesem Samstagmorgen im Juli extra mit seinem Pick-up-Truck von Austin nach Dallas gefahren ist, um von seiner Mission zu berichten. Das fehlende «g» markiere den Unterschied: «Wir sind kein Königreich, sondern eine Gemeinschaft, die auf ‹kindness› basiert, auf Freundlichkeit.» 

Vorurteile und Ängste 

Für das Treffen hat sich Leedy den Thanksgiving-Park im Stadtzentrum von Dallas ausgesucht. Die spiralförmige Kapelle, die sich mittendrin in den blauen Himmel windet, wurde als ein Symbol für den interreligiösen Dialog und religiöse Toleranz errichtet. 

Doch genau diese Werte geraten in Texas zunehmend unter Beschuss: Die LGBTQ-Community ist zur Zielscheibe christlicher Nationalisten geworden. Mit Vorurteilen und dem Schüren von Ängsten wollen sie Wähler mobilisieren, um ihre konservativen politischen Ziele zu erreichen. Queere Jugendliche seien deshalb immer öfter mit Ablehnung und Diskriminierung konfrontiert, sagt Leedy. 

Um ihnen einen sicheren Raum zu bieten, hat die Community ein spezielles Sommercamp ins Leben gerufen. In zwei Wochen ist es wieder so weit. Erzählt Leedy von Lagerfeuer und Gitarre, leuchten seine Augen. «Unsere Camper, die mit ihrer Identität hadern, finden hier Gemeinschaft und Halt.» 

Heute ist das Kin.dom-Camp in vier konservativen Staaten etabliert. In Texas findet es im Osten an einem geheimen Ort statt. Geschützt durch die Polizei, ohne Medienzugang. Die Angst vor gewaltbereiten homophoben Gruppen ist gross. 

Die Lage hat sich verschärft

In den letzten Jahren hat sich die Situation dramatisch verschärft. Der Oberste Gerichtshof von Texas hat mehrere LGBTQ-feindliche Gesetze bestätigt. Besonders umstritten ist das Gesetz SB 14, das im September 2023 in Kraft trat. Es verbietet geschlechtsangleichende Medikamente und Hormonblocker für minderjährige Transpersonen – also für Jugendliche unter 18 Jahren, deren Geschlechtsidentität nicht mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt. Betroffene sehen sich gezwungen, ihre Therapie abzubrechen.

Auch im Camp dürfen entsprechende Medikamente nicht mehr eingenommen werden. Für Leedy stellt das ein grosses Dilemma dar: das Gesetz einhalten oder der christlichen Nächstenliebe folgen? 

Einige der Camper sind laut Leedy am Boden zerstört. Das Gesetz sei nur schädlich: Denn die Hormonbehandlungen geben den Jugendlichen Zeit, ihre Geschlechtsidentität zu erkunden und Entscheidungen über operative Massnahmen in einem späteren, reiferen Alter zu treffen, ohne die irreversiblen körperlichen Veränderungen der Pubertät durchlaufen zu müssen. 

LGBTQ-Personen werden von der Politik zu Sündenböcken gemacht, damit sich eine konservative, weisse, heterosexuelle Elite an der Macht halten kann.
John Leedy, Pastor

Pastor Leedy hält fest: «LGBTQ-Personen werden von der Politik zu Sündenböcken gemacht, damit sich eine konservative, weisse, heterosexuelle Elite an der Macht halten kann.» Wegen der zahlreichen Restriktionen verlassen derzeit viele betroffene Familien Texas. Sie ziehen in liberalere Staaten, etwa Colorado oder New Mexico – oder kehren den USA ganz den Rücken. 

Im falschen Körper geboren 

Wie Sam, ein 16-jähriger Transjunge, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Zusammen mit seiner Mutter ist er bereit, seine Geschichte über Zoom zu erzählen. Schon mit sieben Jahren wusste er, dass er im falschen Körper lebt. Mit 13 begann er, Medikamente einzunehmen, um die Pubertät zu unterdrücken. Der erzwungene Abbruch führte zu einer Rückkehr von Brustwachstum und Menstruation, was ihn stark belastete und zum Opfer von Mobbing machte. 

«Ich wollte mich umbringen», sagt Sam, den Tränen nahe. Zuversicht vermittelte ihm das Camp. Besonders wertvoll seien Gespräche mit einem Transmann gewesen, der ihm Hoffnung auf ein erfülltes Leben als Transperson gab. 

Sams Mutter kritisiert das neue Gesetz scharf. Diesen Frühling ist sie, enttäuscht von den USA, mit ihrem Sohn in ihr Heimatland Kolumbien gezogen. Dort kann er die Hormontherapie fortsetzen und seinen Highschool-Abschluss online machen. «Nicht alle Jugendlichen haben diese Möglichkeit», fügt sie hinzu, «vor allem, wenn ihnen dazu die finanziellen Mittel fehlen.» 

Auch Schulen sind von den zahlreichen Auflagen betroffen. Besonders gravierend: Seit 2023 ist es in Texas gesetzlich untersagt, in Schulbibliotheken Bücher anzubieten, die als «sexuell explizit» gelten. Darunter fällt jegliche LGBTQ-Literatur, weil sie Themen wie sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität behandelt. «Die Heranwachsenden sind ganz auf sich gestellt und glauben, mit ihnen stimme etwas nicht», erklärt John Leedy, der selbst Vater von zwei Kindern ist. 

Generell fehle es an den Schulen an Sexualaufklärung. In der Regel werden nur Abstinenz sowie heteronormative Ansichten vermittelt, während lebenswichtige Themen wie sichere Sexpraktiken bewusst ausgespart werden. Konkret bedeutet dies: «Jugendlichen wird nicht einmal gezeigt, wie ein Kondom zu verwenden ist.» 

Homophobie predigen vor Tausenden Mitgliedern

Nachdenklich betrachtet der Pastor das Wasserspiel im Park. Die Sonne steht nun senkrecht am Himmel, die Hitze flimmert. «Ich mag die Atmosphäre hier», sagt der 40-Jährige. Auf einer Mauer in der Nähe des Brunnens sind Zitate von prominenten Geistlichen verschiedener Religionen eingraviert, die einladen, über Dankbarkeit und spirituelle Werte nachzudenken. 

Ausserhalb des Parks hingegen werden Inklusion und Toleranz gerade von religiöser Seite missachtet. Evangelikale Kirchen propagieren eine enge, wörtliche Auslegung der Bibel, das Ausleben von Homosexualität oder gar Geschlechtsumwandlungen gelten als Sünde. Zu nennen wäre etwa die First Baptist Church in Dallas, deren Pastor Homophobie vor Tausenden von Mitgliedern offen predigt. 

Nicht selten erleben queere Menschen religiöse Traumata.
John Leedy, Pastor

Allerdings finden sich im Land der Gegensätze auch Gegenbeispiele. Nur wenige Autominuten von der Megachurch entfernt, im Stadtteil Oak Lawn, steht die Cathedral of Hope. Mit ihren 4000 Mitgliedern ist sie weltweit die grösste LGBTQ-Gemeinde. Der Innenraum der Kirche strahlt Wärme und Akzeptanz aus. Auf den farbigen Glasfenstern sind Gender-Symbole und das Wort «Hoffnung» zu erkennen. 

Kirche und Religion sind auch Gesprächsthemen im Kin.dom-Camp. «Nicht selten erleiden queere Menschen religiöse Traumata», sagt Leedy. «Sie wachsen in kirchlichen Traditionen auf, und obwohl sie sich ihrer Gemeinde zugehörig fühlen, werden sie später wegen ihrer sexuellen Orientierung ausgeschlossen.» Einige machten auch Erfahrungen mit Konversionstherapien. Diese sollen Homosexualität als angebliche Krankheit «heilen».

Durch Dogmatik verletzt 

Wie verletzend dogmatische Auslegungen der Bibel manchmal sein können, weiss John Leedy als Presbyterianer, der auf dem Land aufgewachsen ist, nur allzu gut. Erst seit 2015 ist gleichgeschlechtliche Ehe in der protestantischen Kirche erlaubt. Erst dann fand er den Mut, sich als bisexuell zu outen. Seine Ehefrau zeigte grosses Verständnis und akzeptiert ihn so, wie er ist. 

Heute betrachtet Leedy es als seine Berufung, anderen dabei zu helfen, ihren eigenen Weg zu gehen: frei von Angst und Selbstzweifeln. Der Mann mit Schnauz, Ohrsteckern und bunten Schuhsohlen ist dankbar, durch seinen Einsatz einen ermutigenden Unterschied zu bewirken. Für Jugendliche wie Sam kann dieser die ganze Welt bedeuten.