Liselotte Stricker Meuli legt ihren Heimweg jeweils sehr bewusst zurück. Sie orientiere sich dabei an einem Bekannten aus den USA, der einmal den Begriff «transition time» eingebracht habe, sprich: Zeit des Übergangs. «Für mich bedeutet der Weg nach Hause tatsächlich eine Art Übergangsritual; ich bin nicht mehr, wo ich gewesen bin – und noch nicht dort, wo ich hinwill», erklärt sie. «Je sorgfältiger ich abnable, den Arbeitstag hinter mir lasse, bewusst verabschiede, was gewesen ist, was mich bewegt, beschäftigt oder sogar belastet hat, desto freier komme ich am Ziel an.»
Nahe bei den Menschen
Das Velo erlebt sie als ideales Fortbewegungsmittel, um sich auf dem Heimweg von den teilweise schwierigen Situationen zu lösen, mit denen sie sich bei der Arbeit auseinandersetzt. «Mein Beruf ist sehr nahe bei den Menschen, ihren Veränderungswünschen, aber auch Enttäuschungen und Tiefschlägen», sagt sie. «Radelnd komme ich in Fluss, frage mich, was gut gelungen ist und was anders hätte laufen müssen – und auch, womit ich mir nun Gutes tun könnte.»
Ob besagter Vorgang des «Abnabelns» auch in einem öffentlichen Verkehrsmittel funktionieren würde? «Sicher nicht so, wie es unter freiem Himmel auf dem Fahrrad gelingt», antwortet sie. Auf dem Velo sei sie für sich allein, könne das Tempo selber bestimmen und je nach Wunsch und Bedürfnis auch noch eine kleine Zusatzschlaufe oder einen Stopp einlegen. Wind und Wetter können ihr nichts anhaben: «Bei starkem Wind muss ich mich durchbeissen, noch etwas härter in die Pedale treten, dabei komme ich sogar noch schneller zu mir selbst zurück», erklärt sie.
Nun lichten sich die Häuserzeilen, rechterhand kommt ein Park in Sicht: der Rosengarten. Hier lässt Liselotte Stricker Meuli den Tag manchmal besonders gemütlich ausklingen, an milden Abenden mit ihrem Mann: bei einem Apéro auf der öffentlichen Terrasse mit Blick über die Altstadt