Der Ruf nach Sicherheit ist seit dem «Mord am Zollikerberg» immer lauter geworden. 1993 tötete ein wegen Vergewaltigungen und Mord verurteilter Mann im Hafturlaub eine junge Frau, eine Volksinitiative resultierte in der Einführung der unbefristeten Haft, der Verwahrung. Hatte das Auswirkungen auf den Resozialisierungsauftrag?
Die Resozialisierung ist durch die neuen Risikobeurteilungen in den Hintergrund getreten. Selbstverständlich gehören Arbeit und Ausbildung aber immer noch zu unseren Hauptstützen. Allerdings wird zum Beispiel die bedingte Entlassung, die gemäss Strafgesetzbuch die Regel sein sollte, immer mehr zur Ausnahme. Ich verstehe einerseits die Sorge. Entlässt man jemanden und er begeht erneut eine schlimme Tat, sind alle schockiert. Das Dilemma allerdings bleibt: Wo zieht man die Grenze, damit einerseits nicht zu viele Gefangene unnötig eingesperrt bleiben und andererseits das Rückfallrisiko nicht zu gross wird?
Obwohl die Regeln strenger geworden sind, taucht regelmässig der Vorwurf der «Kuscheljustiz» auf.
Ich stelle immer wieder fest: Die einen finden unsere Gefängnisse unmenschlich, tiefes Mittelalter. Andere beurteilen sie als zu gut, à la «Kein Wunder, werden manche immer wieder kriminell, wenn es sich im Gefängnis so gut leben lässt». Auf unseren Führungen durch die JVA erleben wir, dass sich beide Meinungen relativieren. Erstere fin-den unser Gefängnis gar nicht so unmenschlich und sind erleichtert. Letztere finden die Zellen von 7,8 Quadratmetern mit Toilette drin dann doch nicht so kuschelig. Und schon gar nicht die Vorstellung, dass die Gefangenen ausserhalb ihrer Arbeitszeit und der zwei Stunden Freizeit am Abend ständig darin eingesperrt sind.
Was ist in Ihren Augen für einen Menschen das Schlimmste am Eingesperrtsein?
Der fehlende Kontakt zur Aussenwelt. Wenn ein Mensch in Untersuchungshaft kommt, wird ihm von einem Moment auf den anderen die Freiheit entzogen. Er sitzt in der Zelle, seine Angehörigen wissen nicht, wo er ist. Das Mobiltelefon wird ihm abgenommen und der Zugang zu allen sozialen Beziehungen gekappt. Für Betroffene ist die Untersuchungshaft schlimm. Einschneidend ist auch jener Moment, in dem ein Urteil gefällt wird und der Täter erfährt, dass er noch viel länger in Haft sein wird, als sein Anwalt vermutete. Zudem sind Feiertage, vor allem die Weihnachtstage, für viele besonders schwer.
In welchen Momenten haben Sie Kontakt zu den Gefangenen? Mein Büro liegt mitten im Zellengebäude des Fünfsterns. Gehe ich Kaffee holen, begegne ich je nach Tageszeit vielen Gefangenen und unterhalte mich oft einen Moment mit ihnen. Viele sprechen mich an, wenn ihnen etwas aufliegt. Das bespreche ich dann am liebsten sofort. In neueren Gefängnissen sind die Direktionsbüros oft im Eingangsbereich, von den Gefangenen getrennt. Ich möchte aber für alle ein Ansprechpartner sein. Ich vergleiche meine Position gern mit jener eines Kapitäns: Er steht auf der Brücke, muss sich aber regelmässig bei allen zeigen, auch den Gästen.
Besprechen die Gefangenen mit Ihnen auch Privates?
Thematisch gibt es für mich keine Grenzen. Es geht aber oft um Sachen aus dem Alltag im Gefängnis.