Recherche 21. Dezember 2017, von Felix Reich

Die musikalische Erweckung

Kultur

1979 schloss sich Bob Dylan unverhofft einer Erweckungsbewegung an. Seine Bekehrung war mehr ist als eine Episode im Leben des Verwandlungskünstlers.

Verstecken ist sein Lieblingsspiel. Inzwischen hat sich Bob Dylan der amerikanischen Liedtradition verschrieben und verschwindet darin. Seine eigenen Kompositionen sind zuweilen die besseren Volkslieder.

Den radikalsten Bruch vollzog Dylan 1979. Er hat ihn nun in der 13. Folge der «Bootleg Series», auf denen Konzertmitschnitte mit aussortierten Studioaufnahmen kombiniert werden, dokumentiert. Für Dylanologen liegt eine acht CDs starke Version mit zusätzlichem Filmmaterial vor. Für Laien reicht das Doppelalbum mit Konzertaufnahmen vollends, um sich Dylans Erweckungsphase zu nähern.

Der Glaube als Provokation. In einer existenziellen Krise nach der Scheidung von seiner Frau Sara Lownds schloss sich Dylan der Vine-yard Church an. Die als Bibelkreis in einem Aussenbezirk von Los Angeles gegründete Evangelisationsbewegung sah in der Anbetung Gottes den eigentlichen Seinszweck des Menschen. Entsprechend zentral war die Musik in ihrer Theologie. Dylan tauchte für drei Monate in einen Bibelkurs ab. Als er auf die Bühne zurückkehrte, spielte er nur religiös inspirierte Lieder. Das Publikum reagierte irritiert, die Fachpresse zynisch.

Wahrscheinlich war sich Dylan der maximalen Provokation seiner Mission bewusst. Das Christentum gehörte zum Establish-ment. Spiritualität suchte die Alternativkultur überall, nur nicht in der Bibel: im Buddhismus, Sufismus, in der Esoterik. Als Elvis Presley ein Gospelalbum aufnahm, hatte er sich mit Präsident Richard Nixon verbündet. Dylan gehörte zu den Anderen.

Die Grenzen der Toleranz. Wobei sich Dylan früh gegen das Etikett des Protestsängers wehrte. Als die politische Instrumentalisierung drohte, verschanzte er sich hinter mehrdeutigen Metaphern. Nun, da er als Poet bejubelt wurde, verstörte er mit der Eindeutigkeit des Predigers. Kommerziell erfolgreich war er damit nicht wirklich. Zwar gelang ihm im Sommer 1979 mit «Slow Train Coming» auf dem gleichnamigen Album einer seiner raren Singlehits, doch trat er nur in Theatern statt Konzerthallen auf.

Dass es die ach so tolerante Rockkultur nur schwer ertragen konnte, dass sich ihr Messias nun tatsächlich dem Messias zuwandte, ist die durchaus aktuelle Pointe der Geschichte. Musikalisch war Dylans Bekehrung tatsächlich eine Erweckung. So präsent klang sein Gesang seither kaum mehr, so stark besetzt war seine Band inklusive Gospelchörli nur noch selten.

Religiöse Verzückung. Die Erweckungsphase im Leben des als Sohn jüdischer Eltern geborenen Robert Allen Zimmerman ist mehr als eine Episode. Das zeigt das pünktlich zum Weihnachtsgeschäft veröffentlichte Material eindrücklich. Ohnehin erscheinen nur seine religiöse Verzückung und die Eindeutigkeit der von 1979 und 1981 entstandenen Songs als Fremdkörper. Religiöse Metaphern hat Dylan schon immer verwendet. 

Anspielungen auf biblische Texte bleiben auch präsent, seit sich Dylan wieder verklausuliert mit Gott beschäftigt. «Ich entdeckte die Religiosität in der Musik», sagte er im Rückblick und verwies damit auf den nachhaltigen Kern seiner Bekehrung.

Mit Jesus im Hotel. Wie es sich für einen Erweckten gehört, hatte auch Dylan eine Geschichte über seine Begegnung mit Jesus parat. Im November 1978 warf jemand während des Konzerts ein silbernes Kreuz auf die Bühne. Dylan steckte es ein. Als er ein paar Tage später entkräftet irgendwo in Arizona in einem Hotelzimmer sass, holte er es hervor. «Jesus legte die Hand auf mich. Es war etwas Körperliches. Ich habe gespürt, wie es über mich kam. Mein ganzer Körper hat gezittert. Die Herrlichkeit Gottes hat mich niedergestreckt und erhoben.»

Ob im Rückblick als Erleuchtungslegende konstruiert oder tatsächlich erlebt, lieferte die Begegnung mit Jesus die künstlerische Energie für eine ungeheuer kreative Phase in Dylans Werk, die zu lange beiseite geschoben worden war und nun wieder neu entdeckt werden kann. Die meisten Platten waren damals unausgegoren und eine Enttäuschung. Die Konzerte jedoch mitreissend in ihrer Unmittelbarkeit. Kein Wunder. Gottesdienste leben von der Präsenz.

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