Sie trafen Papst Leo XIV. einen Tag nach seiner Amtseinführung. Was war Ihr erster Eindruck?
Jerry Pillay: Es war eine grosse Ehre, den neuen Papst so kurz nach der Wahl zu treffen. Er hat lange in Peru gelebt, bringt als erster Papst aus den USA aber eine einzigartige Perspektive mit, zum einen durch eine tiefe pastorale Sensibilität, zum anderen dadurch, dass er sich sehr bewusst ist, wie pluralistisch, oft auch polarisiert das globale Umfeld ist, in dem sich die Kirche bewegt.
Und wie haben Sie das Gespräch persönlich erlebt?
Ich war sehr beeindruckt von seinen Äusserungen zur christlichen Einheit, seinem Engagement für die sichtbare Einheit der Kirchen und seinem Aufruf, miteinander zu arbeiten. Auch betonte er, wie wichtig Frieden, der interreligiöse Dialog, menschliche Geschwisterlichkeit und das Bemühen sind, Hoffnung in der Welt wachsen zu lassen. Das sind zentrale Punkte in unserer heutigen Welt. Ich habe Papst Leo gesagt, dass seine Vision und seine Schwerpunkte gut ankommen und vom ÖRK unterstützt werden. Und dass wir uns auf die Kooperation mit ihm bei diesen Themen freuen.
«Ich erwarte eine engere Zusammenarbeit»
ÖRK-Generalsekretär Jerry Pillay über sein erstes Treffen mit Papst Leo XIV., gemeinsame Versöhnungsarbeit in einer krisengeschüttelten Welt und die veränderte Kirchenlandschaft.
Repräsentiert über eine halbe Milliarde Christen: ÖRK-Generalsekretär Jerry Pillay. (Foto: ÖRK)

Jerry Pillay
Der Südafrikaner ist reformierter Theologe und gehört der Uniting Presbyterian Church in Southern Africa an. 1965 geboren, wuchs er südlich von Durban auf. Von 2010 bis 2017 war Pillay erster Präsident der Weltgemein
schaft Reformierter Kirchen. Auch lehrte er an der Fakultät für Theologie und Religion an der University of Pretoria. Seit 2023 ist er Generalsekretär des Ökumenischen Rats der Kirchen.
«Friede sei mit Euch!», waren die ersten Worte von Leo XIV. Auch der ÖRK sieht sich als Friedensstifter. Dennoch erleben wir verschiedenste Krisen und Kriege. Können der Vatikan und der ÖRK angesichts der Gewalt überhaupt gemeinsam etwas bewirken?
Mit Blick auf die Ökumene ist dieser Moment ein Kairos, eine gottgegebene Möglichkeit, unsere gemeinsame Stimme zu verstärken und den Wunden der Welt die heilende Präsenz von Jesus Christus zu bringen. Zwar leben wir in einer Zeit scheinbar unlösbarer Konflikte: vom Heiligen Land über Teile Afrikas, die Ukraine und darüber hinaus. Doch ich glaube, dass der ÖRK und die römisch-katholische Kirche durch ein gemeinsames Zeugnis als moralische Wegweiser und Hoffnungsträger dienen können.
Was heisst das konkret?
Wir können uns für gerechten Frieden einsetzen und Friedensbemühungen an der Basis unterstützen. Auch können wir theologische und praktische Ressourcen für die Friedensarbeit anbieten. Und schliesslich können wir Regierungen und internationale Akteure in die Verantwortung nehmen.
Sehen Sie auch andere Bereiche für künftige ökumenische Initiativen?
Wir erhoffen uns vom Papst einen neuen Impuls für das ökumenische Engagement, das auf Jahrzehnten vertiefter Spiritualität und des theologischen Dialogs, dem gegenseitigen Respekt sowie dem gemeinsamen Bekenntnis zum Evangelium gründet. Dafür sehen wir auch schon erste Anzeichen. Ich erwarte eine engere Kooperation zwischen der römisch-katholischen Kirche und dem ÖRK mit Blick auf globale Herausforderungen.
An welche Herausforderungen denken Sie dabei?
Es geht nicht nur um den theologischen Dialog, sondern auch um die gemeinsame Zeugenschaft und den Dienst. Die Dynamik für gemeinsame Initiativen, die sich der spirituellen und essenziellen Nöte unserer Zeit annehmen, nimmt zu. Ich denke da an interreligiöse Beziehungen, Klimagerechtigkeit und ethische Herausforderungen, die neue Technologien mit sich bringen.
Einheit und interreligiöser Dialog
352 Kirchen unterschiedlicher Konfessionen sind Mitglied im Ökumeni
schen Rat der Kirchen (ÖRK), der 1948 gegründet wurde und seinen Sitz in Genf hat. Die Mitgliedskirchen vertreten mehr als 580 Millionen Christin
nen und Christen: Zu ihnen zählen die Mehrzahl der orthodoxen Kirchen, zahlreiche anglikanische, baptistische, lutherische, methodistische und reformierte Kirchen sowie viele vereinigte und unabhängige Kirchen. Einst waren die meisten Gründungsmitglieder des ÖRK europäische und nordamerikanische Kirchen. Mittlerweile stammen viele Mitglieder aus Afrika, Asien, der Karibik, Lateinamerika, dem Nahen und Mittleren Osten und dem pazifischen Raum. Die katholische Kirche ist nicht ÖRK-Mitglied, arbeitet aber in vielen Kommissionen mit. Ziel des ÖRK ist es, die sichtbare Einheit der Kirchen zu fördern. Weitere Schwerpunkte sind unter anderem der interreligiöse Dialog, die weltweite Friedensarbeit und auch die Klimagerechtigkeit.
Wie genau funktioniert der Austausch des ÖRK mit der römisch-katholischen Kirche?
Es gibt eine gemeinsame Arbeitsgruppe mit dem Vatikan. Sie hat nun bereits ihr elftes Mandat und ermöglicht uns einen wichtigen Raum offen zu halten für einen tiefgreifenden und nachhaltigen Dialog.
Worüber wird dort gesprochen?
Zum einen geht es um das Verständnis von Erlösung und die Herausforderung zunehmender religiöser Gleichgültigkeit. Wir wollen herausfinden, wie unterschiedliche theologische Darstellungen von Erlösung über verschiedene Traditionen hinweg unser Zeugnis entweder bereichern oder erschweren könnten – vor allem in zunehmend säkularen oder religiös pluralen Umgebungen. Indem wir der Tendenz zur Gleichgültigkeit entgegenwirken und auch Missverständnisse offen benennen, hoffen wir, eine klarere und überzeugendere Darstellung der Hoffnung in Christus zu bieten, welche die Herzen der Menschen heute erreicht. Ein zweiter Bereich, dem sich die Arbeitsgruppe mit dem Vatikan widmet, ist die kollektive Versöhnungsarbeit weltweit.
Wie sieht die aus?
Die Arbeitsgruppe schaut sich Modelle der Versöhnungsarbeit aus verschiedensten Teilen der Welt an. Sie sucht Werkzeuge, die Kirchen nutzen können, um historische Traumata zu überwinden und gerechte Beziehungen zu fördern. Ob wir die Situation in Ruanda nach dem Genozid betrachten oder die Versöhnung mit der indigenen Bevölkerung Kanadas: Wir sammeln Erkenntnisse, die Gemeinschaften helfen können, Schaden gutzumachen und Brücken zu bauen.
Da geht es um Konflikte, die der Vergangenheit angehören. Was macht die Arbeitsgruppe mit Blick auf aktuelle Krisen und Kriege?
Das ist der dritte Bereich und er ist besonders dringlich, denn Verfolgung und religiöse Diskriminierung betreffen weiterhin Millionen von Menschen. Es geht darum, die Ursachen und Ausdrucksformen solcher Gewalt anzuschauen. Ziel ist es, sowohl theologische als auch praktische Instrumente für interreligiöse Solidarität, den Einsatz für Religionsfreiheit und wirksame Antworten von Kirchen und Zivilgesellschaft anzubieten. Alle diese drei Bereiche fordern nicht nur theologisch heraus, sie sind auch ein Sendungsauftrag für die Kirchen.
Das Christentum verändert sich, Wachstum findet nicht mehr im Westen statt, sondern etwa in China oder dem globalen Süden. Inwiefern verändert das den ÖRK?
Auch wir erweitern den Kreis der Ökumene. Die Gesprächsrunde grösser zu machen, ist eine zentrale Aufgabe der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung. Zur sechsten Weltkonferenz für Glauben und Kirchenverfassung lädt die Koptische Orthodoxe Kirche nach Ägypten ein. Das Treffen wird in Alexandria stattfinden und damit erstmals in einem Land des globalen Südens. Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich unsere Identität verändert.
Die gesellschaftlichen Spannungen nehmen vielerorts zu, Themen wie Migration oder die Rechte von Minderheiten spalten zunehmend auch die Kirchen. Ist die Einheit der Ökumene, die Sie propagieren, nicht eine Illusion?
Überhaupt nicht. Einheit ist die zentrale Vision der ökumenischen Bewegung und unserer Gemeinschaft. Immer dann, wenn wir die Einheit erfahren, im Gebet, im gemeinsamen Zeugnis und dem gemeinsamen Tun, immer dann, wenn wir theologische Spaltungen überwinden, wird uns klar, was diese Vision der sichtbaren Einheit bedeutet und warum sie so wichtig ist. Deshalb gehen wir auf unserem Pilgerweg für Gerechtigkeit, Versöhnung und Einheit weiter. Die Einheit sowohl der Kirchen und als auch der Menschheit ist die beste Antwort auf die Ungerechtigkeiten in dieser Welt. Die Grundlage unserer Einheit ist unser Glaube und unsere Hoffnung in Jesus Christus.