Zivildienst zwischen Moral und politischem Druck

Wehrpflicht

Die reformierte Kirche verteidigt den Zivildienst als Ausdruck gelebter Überzeugung, doch in der Politik wächst der Wunsch, das Gewissen wieder staatlich zu prüfen.

Unfair, überflüssig, teuer – so lauteten die Argumente zur Abschaffung der Gewissensprüfung 2008. Bis dahin mussten Militärpflichtige begründen, warum sie Zivildienst statt Armeedienst leisten wollten.

Als unfair galt die Gewissensprüfung, weil besser Gebildete sie häufiger bestanden als junge Männer mit kleinerem Schulrucksack. Als überflüssig, weil sich das Gewissen nicht prüfen lasse: 90 Prozent der Gesuche wurden bewilligt. Das Verfahren kostete den Staat jährlich 3,6 Millionen Franken. 

Nun aber, mit der veränderten sicherheitspolitischen Lage, steht das Verfahren wieder zur Diskussion. Der Nationalrat beauftragte den Bundesrat mit einem Postulat, die Wiedereinführung des Instruments zu prüfen. Die Staaten rüsten auf, und auch in der Schweiz wird die Forderung nach einer stärkeren Armee mit mehr Personal lauter. Die Hoffnung ist, dass mit einer Gewissensprüfung die Armee wieder auf mehr  Dienstpflichtige zählen kann. In den letzten Jahren verzeichnete der Zivildienst steigende Gesuchszahlen.

Nachfrage stark gestiegen 

Damit stellt sich allerdings erneut die Frage, wie sich die individuelle Werthaltung testen lässt. «Das Gewissen entzieht sich grundsätzlich einer Prüfung von aussen», sagt David Zaugg von der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (EKS), wo er für politische Kommunikation verantwortlich ist. 

Das Gewissen ist ein moralischer Kompass. Die Freiheit, ihren inneren Überzeugungen zu folgen, macht die grundrechtlich geschützte Integrität der Person aus.
David Zaugg, Politische Kommunikation EKS

chen Kompass, der Urteilen und Handeln leite. «Die Freiheit, ihren inneren Überzeugungen zu folgen, macht die grundrechtlich geschützte Integrität der Person aus», sagt Zaugg. In der Debatte um die Gewissensprüfung gelte es aber nicht nur persönliche Motive zu berücksichtigen, es gehe auch um die Frage, was Bürger ihrem Staat schulden. 

Zu dieser hat SVP-Nationalrätin und Soldatin Stefanie Heimgartner, Mitunterzeichnerin des Postulats, eine klare Haltung. Sie verweist auf die Wehrpflicht: «In der Verfassung steht, dass jeder Schweizer Armeedienst leisten muss.» Eine Ausnahme dürfe es nur bei triftigen Gründen geben, wozu auch ein Gewissenskonflikt gehört. Dass diese bei der Mehrheit vorlägen, glaubt sie allerdings nicht: «Der grössere Teil der Gesuchsteller könnte den Militärdienst sicherlich mit dem Gewissen vereinbaren.» Nach Meinung von Heimgartner ist der Zivildienst mit der Abschaffung der Gewissensprüfung zu attraktiv geworden, obwohl er als sogenannter Tatbeweis eineinhalbmal so lange dauert wie der obligatorische Militärdienst. 

«Wir sind der Meinung, dass der Tatbeweis missbraucht wird, die Leute wollen einfach nur von der Armee wegkommen», sagt Heimgartner und unterlegt dies mit Zahlen: Im Jahr 2008 wählten 1632 Personen den Zivildienst, 2024 waren es bereits 6800. «Das Gewissen der Leute kann sich seit Abschaffung nicht derart verändert haben.»

Zwei Dienste, gleiche Würde

EVP-Nationalrat Marc Jost stellt den Tatbeweis nicht infrage – im Gegenteil: Er erachtet ihn als genügend, um einen Gewissensentscheid glaubhaft zu machen. Die Fixierung auf potenziellen Missbrauch hält er für verfehlt, auch früher habe es Schlupflöcher gegeben, um dem Marschbefehl zu entgehen, sagt Jost und verweist auf Arztzeugnisse.

Besonders in Zeiten sicherheitspolitischer Spannungen ist es wichtig, das Recht auf Gewissensfreiheit zu schützen.
Marc Jost, EVP-Nationalrat Bern

Triftiger scheint dem ehemaligen Pfarrer, dass sich viele wegen der flexibleren Einsatzmöglichkeiten und wegen der Sinnhaftigkeit für den Zivildienst entscheiden. Dabei verweist er auf eine Studie aus dem letzten Jahr, in der Armeeangehörige und Zivildienstleistende befragt wurden. Rund die Hälfte würde gar bei dreifacher Dauer am Zivildienst festhalten. Jost wie Zaugg sind überzeugt, dass die Gewissensfreiheit ein ganz wichtiges Recht sei. Insbesondere in Zeiten sicherheitspolitischer Spannungen sei es wichtig, dieses Recht zu schützen, sagt Jost. Und wie Zaugg hält er den Zivildienst für ebenso wertvoll für die Gesellschaft wie der Armeedienst.

Die Grenzen der Prüfung

Der Bundesrat hat nun zwei Jahre Zeit, in einem Bericht darzulegen, ob und wie die Wiedereinführung der Gewissensprüfung sinnvoll ist.  Bislang hatte er sich dagegen ausgesprochen. Auch im Rahmen der derzeitig laufenden Revision des Zivildienstgesetzes.

Jost ist zuversichtlich, dass der Bundesrat auch künftig dabei bleibt. Schliesslich habe sich das aktuelle Modell bewährt, neue Erkenntnisse gebe es nicht. Stefanie Heimgartner hingegen hofft auf den neuen Departementsvorsteher Martin Pfister: Er entscheide vielleicht anders als seine Vorgängerin Viola Amherd.

Die Kirche setzte sich bereits früh für einen zivilen Ersatzdienst ein. «Dafür steht sie weiterhin ein», sagt Zaugg. Sollte die Gewissensprüfung zurückkehren, seien die «Grenzen der Überprüfbarkeit» angemessen zu berücksichtigen.

Wanderwege bauen und 
in Schulen aushelfen

Sie betreuen alte, kranke oder beeinträchtigte Menschen, helfen in Schulen und Asylunterkünften, sie halten Wanderwege in Schuss oder unterstützen Landwirte bei der Arbeit: Gegen 7000 Personen leisteten letztes Jahr Zivildienst. 

Das seien zu viele, kritisieren bürgerliche Politikerinnen und Politiker. Diese jungen Männer würden im Militärdienst fehlen. Mit einer Revision des Zivildienstgesetzes will der Nationalrat die Hürden für eine Zulassung zum Zivildienst deutlich erhöhen und die Armee stärken.

Referendum angekündigt 

Obwohl der Entscheid des Ständerats noch aussteht, ist der Schweizerische Zivildienstverband Civiva bereits jetzt alarmiert. Co-Präsidentin und SP-Nationalrätin Priska Seiler Graf sagt gegenüber «reformiert.», die Revision sei ein «Frontalangriff» auf den Zivildienst und der völlig falsche Weg, um mehr Armeeangehörige zu gewinnen. «Die Armee wird nicht attraktiver, indem man versucht, den Zivildienst unattraktiver zu machen.»

Falls der Ständerat dem Nationalrat folgen sollte, kündigt Civiva an, das Referendum zu ergreifen. Die Mehrheit der Schweizer Stimmbevölkerung stehe hinter dem Zivildienst und wisse um dessen Sinn und Wert für die Gesellschaft

In über 5000 Institutionen und Betrieben sind in der Schweiz «Zivis» im Einsatz. «Würde ein grösserer Teil von ihnen wegfallen, wie das die Revision zum Ziel hat, bekämen gewisse Branchen Mühe», ist Priska Seiler Graf überzeugt. Vielerorts gehe es gar nicht mehr ohne. Dort, wo viele Zivildienstleistende eingesetzt würden, werde oft vergeblich nach Personal gesucht.

Angesichts der Bedrohungslage hat man auch beim Verband ein gewisses Verständnis dafür, dass die Armee gestärkt werden soll. «Aber nicht auf Kosten des Zivildiensts», betont Seiler Graf. Die Armee müsse sich bemühen, mehr Leute für den Militärdienst zu motivieren. Personen, denen der Zugang zum Zivildienst verweigert werde, seien damit nicht automatisch für die Armee gewonnen. Sie suchten andere Wege, dem Dienst zu entgehen. «Dann fehlen sie sowohl in der Armee als auch im Zivildienst.» mm