Am 23. September ist zum ersten Mal ein Mensch mithilfe der Suizidkapsel Sarco gestorben. Was sagen Sie zu dem Vorfall in Schaffhausen?
Frank Mathwig: Das war nicht zu erwarten nach der Diskussion über Sarco im Sommer, den Verboten einiger Kantone und der defensiven bis ablehnenden Haltung von Vertreter:innen der Suizidhilfeorganisationen. Der Sache nach schliesst der Vorfall an die Suizide mit dem «Exit-bag» von 2008 an. Damals wie heute geht es darum, die ärztliche Beteiligung auszuhebeln. Die ergangene Strafanzeige bezieht sich gemäss Bundesrätin Baume-Schneider auf mögliche Verstösse gegen das Produktesicherheitsrecht und Chemikaliengesetz. Interessanter dürfte aber sein, ob damit die alte Diskussion über eine rechtliche Regelung der Suizidhilfe resp. der Suizidhilfeorganisationen neu aufflammen wird.
Was halten Sie grundsätzlich von der Suizidkapsel Sarco: Ist das die Zukunft des Sterbens oder ein moralischer Irrweg?
Sarco ist in gewisser Weise ein neues Phänomen. Es handelt sich um eine Suizidkapsel, die besonders ästhetisch gestaltet wurde und sogar auf Kunstausstellungen präsentiert wurde, bevor es darum ging, sie effektiv einzusetzen. Was die Diskussion anheizt, ist die Tatsache, dass Suizidhilfe hier plötzlich smart und modern wirkt. Diese Kapsel wird wie ein Designobjekt gezeigt, was schon etwas befremdlich ist. Bisher hat man Tötungsmaschinen mit Abscheu betrachtet, nicht in einem ästhetischen Kontext, der auch noch beworben wird.
Wie verändert es unser Verständnis vom Tod, wenn er durch einen Knopfdruck in einer Kapsel ausgelöst wird?
Es weckt neue Assoziationen. Wenn man sich diese Kapsel in einer idyllischen Landschaft mit Alpenhintergrund vorstellt, wie sie von den Erfindern inszeniert wird, denkt man an Urlaub, Erholung, Entspannung – und das ist irritierend. Denn es geht nicht um Ferien, sondern um Suizidhilfe. Die Überblendung des Suizids mit Freizeiterlebnissen hat verstörende Konsequenzen. Es wird ein Bild von Ruhe und Schönheit gezeichnet, das die Realität und den Zweck der Kapsel ausblendet. Es geht nicht um eine gewisse Auszeit vom Alltag, sondern um den endgültigen Abschied vom Leben.
Aber die Bilder sind doch eigentlich positiv: Der Tod wird zu etwas Angenehmem und verliert seinen Schrecken.
Ja, Sarco holt den Tod aus der «hässlichen» Ecke, das ist begrüssenswert. Denn die Darstellung des Todes als furchterregend und düster diente der moralischen Disziplinierung. Die Entmoralisierung ist wichtig, weil sie es erlaubt, freier über das Sterben zu sprechen. Aber wir müssen vorsichtig sein: Nur weil das Sterben ästhetisiert wird, verliert der Tod nicht seine verstörende Macht und Bedeutung. Er bleibt eine existentielle, menschliche Erfahrung, die nicht durch eine ansprechende Verpackung in einen Konsumakt verwandelt werden sollte.