Mit der Musik will er etwas zurückgeben

Kultur

Bruno Schneider hat ein Orchester für pensionierte Berufsmusiker gegründet. Seine AHV-Philharmonie spielt ohne Gage für gute Zwecke. 

Bruno Schneider weiss über Berufsmusiker und ihren Ruhestand einige Geschichten zu erzählen: die vom Hornisten, der sein Instrument am Tag der Pensionierung in einem See versenkte. Oder die vom Tubisten, der seine Tuba mit einer Walze plattmachte und sie sich an die Wohnzimmerwand hängte. «Aber das sind Ausnahmen», sagt Schneider und lacht. «Bei Orchestermusikern läuft es meist so: ein letztes Konzert, viel Applaus, ein Blumenstrauss, und alles ist vorbei.» 

Für viele kommt dann die grosse Leere. Schneider ist selbst Musiker, jahrzehntelang spielte er als renommierter Solohornist, erst in der Zürcher Tonhalle, dann in Konzerthallen weltweit. Zusätzlich lehrte er an Hochschulen, zuletzt in Genf und in Freiburg im Breisgau. 

Steuergelder für Kultur

Seit zwei Jahren ist auch der 67-Jährige formal Rentner, wenngleich ein vielbeschäftigter. Am Wohnzimmertisch seines Stadthauses in Basel, zwischen Biedermeiersofa und Bücherregalen, spricht er Ende November über sein jüngstes Projekt: die AHV-Philharmonie. Das 2024 gegründete Orchester gibt Mitte Dezember in Bern sein zweites Konzert, und der Name ist Programm: Es spielen pensionierte Berufsmusikerinnen und -musiker, die in Schweizer Orchestern oder Musikschulen angestellt waren. 

Ein einmaliges Konzept, zumal das Orchester unentgeltlich auftritt. Die Einnahmen des ersten Konzerts gingen an Procap, die Selbsthilfeorganisation für Behinderte. Im zweiten Konzert wird Antonin Dvoráks  7. Symphonie für das Hilfswerk der Evangelisch-reformierten Kirche der Schweiz (Heks) aufgeführt. «Wir wollen der Gesellschaft etwas zurückgeben, so spielen wir für Organisationen, die Menschen hierzulande unterstützen», sagt Schneider. Schliesslich lebe die Kultur ja stark von Steuergeldern. 

Die Jungen werden von den Alten dirigiert. Wir machen es andersherum.
Bruno Schneider, Hornist

Bei seinen Berufskollegen stiess die Idee auf Anklang. Schneider erhielt begeisterte Mails, und schnell hatte er ein 60-köpfiges Orchester beisammen. Zwar spielten viele Pensionierte in kleineren Ensembles weiter. «Aber der Klang in einem sinfonischen Orchester – das ist etwas ganz anderes», sagt er und breitet weit die Arme aus. 

Mit 15 wusste Schneider, dass er Berufsmusiker werden wollte. Im Probenraum im Souterrain hängen Hörner an einem Ständer, den sein Vater einst für ihn gezimmert hat. Naturhörner – also Instrumente ohne Ventile – lagern in einer Vitrine. Schneider spielt einen Schofar an, ein Widderhorn, das im Judentum zu bestimmten Feiertagen geblasen wird. Ein durchdringender heller Klang erfüllt den Raum. Noch immer übt er täglich mindestens eine Stunde, vor Auftritten bis zu drei. Als Solohornist kann er selbstständig weiterarbeiten, muss auf die Arbeit nicht ganz verzichten. «Ein Privileg», sagt er. 

Eine Gesellschaft für alle

An eines seiner drei Kinder hat er seine Leidenschaft weitergegeben, die Tochter ist Geigerin. Die andere hat als Juristin für das Heks gearbeitet – so kam der Kontakt für das Konzert zustande. Auch der Sohn studiert Jura, er wohnt noch bei den Eltern, wegen einer Krankheit ist er auf einen Rollstuhl und ihre Unterstützung angewiesen. Derzeit lässt Schneider das neue Auto behindertengerecht umbauen. 

Dem Musiker ist eine inklusive Gesellschaft wichtig, für Menschen mit Beeinträchtigungen und Menschen jeden Alters. Der Generationenkonflikt mache ihm Sorgen, er spüre ihn deutlich, sagt er, «in der Debatte um die 13. AHV-Rente oder den Klimawandel». 

In der AHV-Philharmonie reichen die Rentner den Jungen die Hand: Sie suchen sich für die Konzerte jeweils Nachwuchsdirigenten einer Musikhochschule. «In der Musikwelt läuft es meist so: Die Jungen werden von den Alten dirigiert», sagt Schneider. «Aber wir machen es gerade andersherum.»