Trotz allem immer wieder aufgestanden

Diakonie

Eine schwierige Kindheit, Drogensucht und Krankheit: Marco Marsicano rappelt sich trotz Rückschlägen immer wieder auf. 

Er sei fast jeden Tag hier, sagt Marco Marsicano, während er mit einem Iced Latte von der Kaffeebar zur Sofaecke in einem der hinteren Räume geht. Die Streetchurch sei sein zweites «Dihei». Viele junge und ein paar wenige ältere Menschen sitzen an diesem Nachmittag Anfang Juni an kleinen und grossen Tischen, reden, schauen zu zweit auf einen Laptop. Die Atmosphäre ist freundlich und angenehm, ein Hauch entspannter Geschäftigkeit liegt in der Luft.

Die Streetchurch ist ein diakonisches Angebot der reformierten Kirche und richtet sich an Menschen in Lebenskrisen. Marco kam vor acht Jahren das erste Mal an die Badenerstrasse 69. Er war damals 19 Jahre alt und hatte gerade einen Gefängnisaufenthalt hinter sich, den sechsten in Folge. 

Kindheit voller Gewalt

Der 27-Jährige ist hier im Zürcher Kreis 4 geboren und in einer italienischen Familie aufgewachsen. Der Vater und später auch die Mutter seien sehr gewalttätig gewesen, erzählt er, jede Silbe betonend, als wolle er die innere Not unterstreichen. Was er zu Hause abgekriegt habe, habe er nach aussen getragen: «Ich konnte meine Wut nicht kontrollieren. Wenn mich jemand beleidigte, fuhr ich aus der Haut.» 

Endlich weiss ich, woher der Wahnsinn kommt, den ich manchmal in mir spüre.
Marco Marsicano

Mit 14 landete er auf der Strasse, schlug sich dort mit Raubüberfällen durch und rutschte immer tiefer in die Drogen ab, probierte sie alle aus.

Den Eltern wurde die Obhut entzogen und der Jugendliche wiederholt in eine geschlossene Institution gesteckt. Dort lernte Marco Markus Giger kennen, den Pfarrer und Seelsorger bei der Streetchurch. «Markus ist seit vielen Jahren die einzige Konstante in meinem Leben.» 

Seither versuchte Marco, Fuss zu fassen. Die Streetchurch unterstützt ihn dabei: durch Gespräche, begleitetes Wohnen und Arbeitsintegration. Eine Weile lang lief es gut, Marco war weg von den Drogen, arbeitete als Maler und Kurier, wurde Vater. Doch dann erlitt er an Händen und Armen eine Nervenschädigung, verletzte das Knie. Und stürzte wieder ab. Es folgte ein Aufenthalt in der Psychiatrischen Universitätsklinik, wo ihm eine Posttraumatische Belastungsstörung sowie Depressionen diagnostiziert wurden. 

Der Himmel hellt auf

Der schlimmste Moment seines Lebens und zugleich die Kehrtwende sollten jedoch noch kommen. Ein Jahr schon hatte Marco seine Tochter nicht sehen dürfen, lebte wieder auf der Strasse. Verzweifelt und suizidgefährdet kam er an einem Mittwochabend in die Streetchurch. 

Im grossen Saal lief gerade die «Grow Session», der wöchentliche Gottesdienst. «Ich war seit meiner Schulzeit nicht mehr in der Messe gewesen. Nun setzte ich mich an einen freien Platz, hörte zu.» Und plötzlich liefen die Tränen.
Von Gefühlen überwältigt ging Marco raus in den kleinen Park neben der Streetchurch. Und während er in den Himmel blickte, schien ihm dieser überraschend heller zu werden. «Ich fühlte intensiv die Gegenwart Gottes in mir. Auf Fragen, die ich mir stellte, erhielt ich Antworten.» Seit dieser Erfahrung und auch durch die PTBS-Diagnose sei er ruhiger geworden. «Endlich weiss ich, woher der Wahnsinn kommt, den ich manchmal in mir spüre. Und ich habe angefangen, Selbstliebe zu empfinden.»

Vor einem Jahr begann Marco eine Kochlehre in einem noblen Zürcher Restaurant, war engagiert und begeistert, überforderte sich erneut komplett. Er wurde rückfällig. 

Seit März ist er wieder weg vom Crack und zurück bei der Streetchurch. Marco macht Traumatherapie, arbeitet zwei halbe Tage pro Woche in der Küche der Streetchurch. Mehr geht momentan nicht. «Ich lerne, wie wichtig es ist, die eigenen Grenzen zu respektieren und Sachen zu machen, die mir guttun.» 

Zum Beispiel alle zwei Wochen die Haare schneiden lassen. Oder einfach mal in Ruhe einen Iced Latte trinken in der Streetchurch.