Die Klimakrise erreicht den Gerichtssaal

Justiz

Die Erderwärmung ist ein Fall für die Richter geworden. Vier Menschen aus Indonesien klagen in Zug gegen die Zementfirma Holcim und wollen die Konzerne in die Pflicht nehmen.

Die Klimakrise trifft Milliarden Menchen, ihre Folgen werden immer gravierender. Zunehmend ziehen Betroffene mit der Unterstützung von Nichtregierungsorganisationen vor Gericht. Beinahe 3000 Klimaklagen weltweit sind inzwischen hängig oder abgeschlossen. Die Verfahren sind kompliziert und dauern Jahre. Sie stehen aber für einen Trend: Leidtragende wollen nicht mehr zusehen, sondern fordern, dass Staaten und Konzerne Verantwortung übernehmen. 


Schlagzeilen machten etwa die Klage eines Bauern aus Peru gegen den deutschen Energiekonzern RWE und jene von Umweltschutzorganisationen gegen Shell in den Niederlanden. In Frankreich klagten Städte und Umweltorganisationen, in Belgien ein Bauer gegen den Energiekonzern Total. Die Klimaseniorinnen prozessierten mit Erfolg vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegen die Schweiz.  Im Mai kam ein weiterer Fall in den USA hinzu: Die Tochter einer an Überhitzung gestorbenen Frau verklagte sieben grosse Öl- und Gasunternehmen, da sie die Klimaerwärmung mitverursacht hätten. 

Eine Frage des Überlebens 

Nun rückte Zug in den internationalen Fokus. Vor dem Kantonsgericht forderten Anfang September vier Bewohner der indonesischen Insel Pari, dass der Schweizer Zementkonzern Holcim seine Treibhausgasemissionen reduziert. Die Insel liegt anderthalb Meter über dem Meeresspiegel. Vermehrt dringen Flutwellen in die Häuser ein, und die steigenden Wassertemperaturen zerstören Lebensgrundlagen.

Wir spüren die Folgen des Klimawandels jeden Tag.
Ibu Asmania

In der Verhandlung traten zwei der vier Kläger  auf: Ibu Asmania, Ladenbesitzerin, und der Fischer Arif Pujianto. «Wir spüren die Folgen des Klimawandels jeden Tag», sagte Asmania. Sie berichtete von Nächten mit Albträumen, der Sorge um ihre Kinder und der Hoffnung, die Insel möge bewohnbar bleiben.
Die vier Bewohner kämpfen um ihre Existenz. Unterstützt werden sie vom Hilfswerk der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (Heks), das die Auseinandersetzung mit einer Informationskampagne begleitet. Die vier Indonesier verlangen von Holcim, ihre Emissionen am 1,5-Grad-Ziel auszurichten, also an der international vereinbarten Begrenzung der Erderwärmung auf höchstens 1,5 Grad. Zudem soll sich die Firma an den Schutzmassnahmen auf der Insel finanziell beteiligen und für Schäden aufkommen. 

Die Rolle der Hilfswerke 

In der Verhandlung vom 3. September ging es allerdings noch nicht um den Inhalt der Klage, sondern lediglich darum, ob das Verfahren in der Schweiz zugelassen wird. Anwältin Cordelia Bähr, die schon das Rechtsteam der Klimaseniorinnen geleitetet hat, vertritt jetzt auch die Indonesier. Die Juristin machte geltend, ihre Mandanten hätten Schäden erlitten, Persönlichkeitsrechte seien verletzt und weitere Schäden drohten. Holcim trage daran erhebliche Mitverantwortung. Wie eine Studie zeige, sei der Konzern für etwa 0,42 Prozent der globalen industriellen CO₂-Emissionen verantwortlich und habe von 1951 bis 2021 über sieben Milliarden Tonnen CO₂ ausgestossen. Das ist doppelt so viel, wie die Schweiz emittiert.


Die Gegenseite widersprach entschieden. Ein Zivilgericht sei der falsche Ort für diese Klage, so die Anwälte. Den Klimawandel anerkennt Holcim zwar als existenzielle, menschengemachte Bedrohung, doch Klimaschutz sei Aufgabe von Politik und Regierungen. Da alle betroffen seien, könne kein individuelles Rechtsverhältnis zwischen Konzern und Klägern bestehen. Die Inselbewohner seien Repräsentanten eines globalen Problems. Sie hätten ihre Klage gar nicht aus eigener Initiative eingebracht, sondern seien vom Heks für ein politisches Anliegen instrumentalisiert worden. 

Die Bewohnerinnen und Bewohner von Pari waren seit Jahren mit den Problemen in ihrem Lebensraum beschäftigt und hatten sich bereits rechtlich dagegen gewehrt, bevor sie uns zu Massnahmen für den Klimaschutz konsultierten.
Karolina Frischkopf, Direktorin Heks

Besonders dieser Vorwurf brachten Ibu Asmania in Rage. Nach der Verhandlung machte sie ihrer Empörung Luft: «Ich bin wütend! Man stellt uns als ungebildete Opfer dar. Aber ich kämpfe für mich und meine Kinder. Dafür habe ich mich selbst entschieden.» Auch Heks-Direktorin Karolina Frischkopf weist den Vorwurf der Instrumentalisierung zurück: «Die Bewohnerinnen und Bewohner von Pari waren seit Jahren mit den Problemen in ihrem Lebensraum beschäftigt und hatten sich bereits rechtlich dagegen gewehrt, bevor sie uns zu Massnahmen für den Klimaschutz konsultierten.» In allen Projekten unterstütze das Heks Menschen, ihr Recht einzufordern. 

Tatsächlich werden Klimaklagen in der Regel von Organisationen begleitet. Denn sie kosten viel Geld und benötigen grosses Fachwissen. Einzelpersonen können solche Verfahren kaum allein führen. Die wachsende Zahl von Klagen und Urteilen scheint Holcims Position ins Wanken zu bringen, wonach die Verantwortung für CO₂-Emissionen allein bei der Politik liege und nicht vor einem Zivilgericht verhandelt werden dürfe. 


Durch Völkerrecht gedeckt 

Die Anwältin Roda Verheyen, die in vielen Klimaklagen – darunter gegen RWE und Volkswagen – prozessierte, nahm als Beobachterin an der Verhandlung in Zug teil. Sie sagt: «Das Recht ist dazu da, Menschen zu schützen. Und das ist die Aufgabe von Zivilgerichten.» Ein Gutachten des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag hielt im Juli denn auch fest, dass Klimaschutz völkerrechtlich verbindlich sei. Und laut dem Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte sind Klimaklagen ein legitimes Mittel, um Rechte einzufordern. 

Ob das Zuger Kantonsgericht auf die Klage eintritt, gibt es «zu gegebener Zeit» bekannt. Kommt es dazu, wäre es ein weiterer Fall, der den Druck auf Unternehmen beim Klimaschutz erhöht. Entscheidet es sich dagegen, bleibt den Klägern der Gang zum Bundesgericht.
Für Ibu Asmania und Arif Pujianto geht es um mehr als ein juristisches Lehrstück. «Es geht um unsere Zukunft auf dieser Insel», sagte Asmania