Ein Satz will mir nicht aus dem Kopf, der vor einem halben Jahr in «reformiert.» stand: «Der gekreuzigte Christus zeigt: Leiden und Krankheit können auch eine positive Bedeutung haben.» Das sagte ein Theologieprofessor, der die Differenz zwischen der Heilung, die Jesus verspricht, und der Heilung im medizinischen Sinn betonte. Hier geht es um Erneuerung, die oft anders aussieht,als wir es uns vorgestellt haben und mit körperlichen Gebrechen einhergehen kann. Dort um Gesundheit. Die Unterscheidung leuchtet mir ein. Doch der Satz stört mich. Im Nachdenken über Karfreitag in der zurückliegenden Passionszeit noch mehr.
Blutige Wunden
Mir kommt eine meiner liebsten Kirchen in den Sinn, in der ich stets ein bisschen ratlos zum Altar blicke. Unübersehbar zeigen grosse Fresken die Kreuzigung, es fliesst reichlich Blut direkt in den Abendmahlskelch in der Hand eines Engels. Die Fragen der Kinder, meine stockenden Erklärungen sind nicht das Problem. Es ergeben sich gute Gespräche. Mit Tod, Krieg und Leid werden Kinder früh konfrontiert. Um darüber zu reden, Fragen auszuhalten, ist die alte Kirche über den hügeligen Kastanienwäldern des Malcantone ein guter Ort.
Mich irritiert der Fokus auf das Leiden Christi. Da wird Schmerz zwanghaft mit Sinn aufgeladen. Gibt es diesen Sinn tatsächlich, so bleibt er ein verborgener, der für die Betroffenen aufflackern mag, aber nie von aussen zugeschrieben werden darf.
Das plakative Voraugenführen der Passion droht zudem den Blick auf Ostern zu verstellen. Auferstehung und Karfreitag sind untrennbar verknüpft. Das zeigt sich daran, dass die Zeuginnen der Kreuzigung als Erste von Ostern erfahren. Ihr Ausharren unter dem Kreuz bereitet den Boden für die Begegnung mit dem Auferstandenen.
Stille Wunder
Ich weiss nicht, ob die Passionserzählungen in den Evangelien das Leiden positiv deuten. Ich finde darin vielmehr die Zusage, dass Gott uns im sinnlos erfahrenen Leid nicht verlässt, weil Jesus die Abgründe der Sinnlosigkeit selbst durchlitten hat. Diese Hoffnung ist mir durchaus Erfahrung: In der Begleitung eines schwer kranken, sterbenden Menschen ergaben sich unverhofft Augenblicke der Liebe und Präsenz, die nur in dieser schwierigen Situation möglich waren. Sie haben sich mir als Gottesgeschenke in die Erinnerung eingeprägt. Aber will ich deshalb dem Leiden von Andern mit der Bibel in der Hand eine positive Bedeutung zuschreiben? Ich schrecke davor zurück. Und ich glaube: zum Glück.