Der Heiligenhändler mit der filmreifen Biografie

Kunst und Religion

Kunsthandel: Seit 1976 betreibt Panajotis Yannoulis eine Ikonengalerie in der Zürcher Altstadt. Wer ihn in seiner Schatzkammer besucht, landet in einer anderen Zeit.

Grosse Menschen müssen den Kopf einziehen, wenn sie von der Augustinergasse her die drei Stufen hinuntersteigen. Etwas Demut schadet nicht, denn hinter der Glastür eröffnet sich eine Welt voller Wunder. 

Es gibt sogar Passanten, die eintreten und sich vor einer Christusikone bekreuzigen, als wären sie hier in einem Heiligtum oder einer Kirche. Andere kommentieren vor dem Schaufenster spöttisch: «Hier kannst du dir einen Jesus kaufen.» 

Einheimische nennen den aus der Zeit gefallenen Ort «die Ikonenecke». Sie liegt zwischen St. Peter und Augustiner, also zwischen einer reformierten und einer christkatholischen Kirche. Die Lage markiert ein unscheinbares Geschäftsschild aus Kupferblech, das den Heiligen Georg zeigt; der Drachentöter ist eine der wichtigsten Figuren der orthodoxen Heiligenverehrung. Sein Bild wird umrahmt vom Schriftzug «Galerie Ypsilon».

Er versammelt alle Heiligen um sich

«Ypsilon wie Yannoulis», sagt Herr Y, hier Inhaber seit 48 Jahren. Mit wachen Augen hockt er hinter einem winzigen Tischchen voller Geschäftspapiere und verschwindet beinahe zwischen den antiken Bildern mit Häuptern in goldumrandetem Kreis, die er eigenhändig zusammengetragen und auf und auf weissen Klebeetiketten mit Preisen beschriftet hat. Das viele Gold und die Erdtöne an den Wänden seiner Schatzkammer sind untrügliche Zeichen der Ikonographie der Ostkirchen. 

Der Meister dieses Kabäuschens der Heiligenkunst hat Jahrgang 1932 und heisst mit Vornamen Panajotis, was so viel wie «Allerheiligen» bedeutet. «Es ist auch der Ehrentitel des Patriarchen der Orthodoxen Kirche», sagt er verschmitzt: «Seine Heiligkeit» Yannoulis handelt mit allen Heiligen, seit über einem halben Jahrhundert. Hier ist der Name nicht Schall und Rauch, sondern es gilt «Nomen est Omen». 

Honorarkonsul mit bewegter Geschichte

Angefangen hat er in den 1960ern. Für seinen Bruder, der in Athen ein Ikonengeschäft betrieb, reiste er als Einkäufer nach London, um an den Versteigerungen von Sotheby’s und Christie’s mitzubieten. Damals war er für Griechenland in Zürich als Honorarkonsul tätig und verhalf auswanderungswilligen Griechen zur Einreise nach Deutschland. Sein Trick: den Stempel «nicht gültig für Deutschland» im Reisepass hat er einfach mit Rabattmarken überklebt.

Aufgewachsen ist Yannoulis vor dem 2. Weltkrieg in der Sinastrasse im Zentrum von Athen, «als Strassenkind» sagt er. Der Platz vor der lutherischen Kirche im Zentrum war sein Spielplatz. Sein Vater war ein einfacher Pistazienhändler, die Mutter hätte es gern gesehen, wenn er orthodoxer Priester geworden wäre. 

Viel zu früh schlich sich der kleine Panajotis mit den älteren Brüdern in die Sonntagsschule. Bereits als Sechsjähriger versank er in der Betrachtung eines Deckengemäldes von Abraham und Isaak, «ganz hoch oben» in der orthodoxen Kirche. Seine Vorliebe für die künstlerische Darstellung biblischer Szenen mag daherkommen. Gern zeigt er Besuchern die Festtagsikone auf einer Staffelei in der Ecke, welche die Stationen im Leben Jesu darstellt.

Frühe Kontakte mit der Schweiz

Auch sein beinahe schwärmerisches Verhältnis zur Schweiz wurde schon früh geprägt. Zu Beginn des Krieges durfte er als Achtjähriger die Limousinen der Schweizer Botschaft in der Nachbarschaft waschen und bekam dafür Biskuits. «Ich brauche keine Geschichtsbücher zu lesen, ich habe die Wirren des 20. Jahrhunderts selbst erlebt», sagt er.

Als in Griechenland Hunderttausende während der Nazi-Besatzung an Hunger litten, wurde in der Schule Ovomaltine ausgeschenkt, und im Pfadfinderlager gab es Konserven vom Roten Kreuz. 1957 kam er erstmals in die Schweiz – und blieb: Ein Personaler der Maschinenfabrik Oerlikon stellte ihn an, «von der Strasse weg» von heute auf morgen. 

Tiefe Dankbarkeit

Inzwischen ist der Grieche längst selber zu einer Zürcher Ikone geworden – und man verspürt Rührung, Respekt und viel Dankbarkeit, wenn er von seinem Verhältnis zur Schweiz spricht. Da zeigt sich eine weitere Parallele zwischen seiner Biografie und diesem geheimnisvollen Ort: Ikonen werden traditionell als volkstümlicher Ausdruck der Dankbarkeit gespendet. 

Mit über 90 strahlt er noch viel Schalk und Lebensfreude aus: «Sie sollten meine Frau porträtieren», sagt er mehrmals ganz bescheiden. «Die ist eine Thurgauer Protestantin mit kurzen Fingern. Wir sind seit 66 Jahren verheiratet.»