In Zeitungsberichten wird immer wieder von der kollabierenden Wirtschaft und der galoppierenden Inflation im Libanon gesprochen. Es wird auch berichtet, dass Korruption ein grosses Problem darstellt. Wie ernst ist die Lage im Land wirklich?
Korruption ist ein weit verbreitetes und schwerwiegendes Problem im Libanon, das stark zur wirtschaftlichen Krise des Landes beiträgt. Trotz des hohen Bildungsniveaus in der Bevölkerung gelangen oft Menschen ohne moralische Integrität in Machtpositionen, was die Situation verschärft. Die Kirche nimmt eine klare Haltung gegen Korruption ein und strebt danach, ein Vorbild für Transparenz und ethisches Handeln zu sein. Besonders wichtig ist es, eine Generation heranzubilden, die sich für Rechtsstaatlichkeit und gegen Korruption einsetzt, um die Zukunft des Libanon positiv zu gestalten.
Christinnen und Christen sehen sich in Ländern wie Libanon, Syrien, Irak, Jordanien und Ägypten immer wieder mit Verfolgung und Unterdrückung konfrontiert. Wie erleben sie die Situation?
Christen in Ländern wie Libanon, Syrien, Irak, Jordanien und Ägypten stehen oft vor der Herausforderung, inmitten aller Unterdrückungen und Leiden im Nahen Osten zu überleben und zu bleiben. Die Situation ist geprägt von Sorge um die Zukunft und der Möglichkeit, dass Christen den Nahen Osten verlassen. Insbesondere in Zeiten wirtschaftlicher Schwierigkeiten und fehlender Perspektiven denken viele darüber nach. Dennoch ist es uns ein Anliegen, dass Christen im Nahen Osten bleiben, um lebendige Gemeinschaften zu erhalten und weiterhin einen positiven Beitrag für die Gesellschaft zu leisten. Einige Kirchen sind trotz allem stärker geworden, insbesondere durch ihren Einsatz und ihre Hingabe für die Menschen vor Ort. Die Kirchen in Palästina, Libanon und Syrien bemühen sich weiterhin, in schwierigen Zeiten Präsenz zu zeigen, gestärkt durch den Glauben an Gottes Unterstützung.
Abschliessend: Was nehmen Sie von der Konferenz auf Boldern mit?
Die Konferenz war für mich eine bedeutende Erfahrung, insbesondere hinsichtlich der Diskussion über die reformierte Identität. Wir haben reflektiert, dass unsere Identität nicht durch Abgrenzung gegenüber anderen definiert werden sollte. Vielmehr geht es darum, sich auf das zu konzentrieren, was Christus uns in dieser Zeit aufruft zu tun: nämlich für andere da zu sein und zu dienen. Als Vertreter einer Minderheitskirche im Nahen Osten sehe ich, wie wichtig es ist, in der Gesellschaft präsent zu sein und einen positiven Einfluss zu nehmen, wie wir es durch Bildung und soziales Engagement tun. Ein weiterer wesentlicher Punkt war die Bedeutung der Ökumene und des Humanismus, ohne die wir als Kirche nicht überleben können. Die Reformation ist ein kontinuierlicher Prozess, der uns herausfordert, nicht stehen zu bleiben, sondern immer wieder neue Wege zu finden, um Christi Ruf zu folgen.
Gehen Sie – trotz der weltweit schwierigen Lage – gestärkt und hoffnungsvoll daraus hervor?
Trotz der globalen Herausforderungen und der Schwierigkeiten, denen die Kirche gegenübersteht, bin ich voller Hoffnung. Die Zusammenkunft mit Kirchen aus Europa hat mir gezeigt, dass wir durch gemeinsame Anstrengungen gestärkt werden können. Besonders bewegend war die Anwesenheit des Bischofs aus der Ukraine, der uns seine persönliche Geschichte erzählte und uns an die Bedeutung der Hoffnung erinnerte. Die gemeinsame Präsenz und der Austausch haben uns ermutigt, daran zu glauben, dass das Leiden nicht das letzte Wort hat, sondern die Auferstehung. Diese Hoffnung treibt uns an, sowohl im Nahen Osten als auch in Europa, nach einer besseren Zukunft zu streben, gestärkt durch unseren Glauben und die gemeinsame Überzeugung, dass Christus mit uns ist.