Mit Posaunen, Harfen und Gesang erklingt das Lob der Engel

Kulturgeschichte

Wie klingt es, wenn Engel musizieren? Abschliessend sagen lässt sich dies nicht. Warum sie es tun, hingegen schon.

Der verwahrloste Junge Huckleberry Finn kommt im gleichnamigen Roman von Mark Twain unter die Fittiche einer begüterten Frau. Deren bigotte Schwester versucht, Huckleberry die Religion und das himmlische Paradies schmackhaft zu machen. «Wer dorthin kommt», doziert sie, «der muss den ganzen Tag Harfe spielen und singen – immer und ewig.» Daraus freilich macht sich der Angesprochene «nicht die Bohne», aber um des Friedens willen behält er seinen Senf für sich.

Was Mark Twain, der amerikanische Satiriker, mit diesen Zeilen augenzwinkernd anspricht, geht auf sehr alt Überliefertes zurück: In der Religionswelt der drei abrahamitischen Religionen (Judentum, Christentum, Islam) ist die Vorstellung singender, musizierender und lobpreisender himmlischer Engelswesen fest verankert. Damit befasst sich das neue Buch «Musik der Engel; eine Kulturgeschichte» aus der Feder des Theologen Wolfgang W. Müller.

Wolfgang W. Müller, 68

Der in Heidelberg geborene Autor ist emeritierter Professor für Dogmatik. Bis 2021 war er Leiter des Ökumenischen Instituts an der Theologischen Fakultät der Universität Luzern. Er hat zahlreiche Publikationen zu Theologie und Musik veröffentlicht.

In der modernen Gesellschaft sei das Interesse an den Engeln neu erwacht, schreibt der Autor. Soziologisch, psychologisch und religionswissenschaftlich sei in der Literatur bereits manches abgehandelt worden, aber im Bereich der musizierenden Engel klaffe noch eine Leerstelle, die das Buch füllen wolle.

Älter als alle Religionen

Müller führt die Leserschaft Schritt für Schritt an sein Thema heran. Zuerst erklärt er, was Engel überhaupt sind, wie die Theologie von ihnen spricht und wie sie die säkularisierte Gesellschaft der Gegenwart neu entdeckt und inszeniert, in Fantasy-Filmen, Werbung, Kunst oder Schriften der New-Age-Bewegung. Fast scheint es, als würden die Engel heute jene unfassbare Macht ersetzen, die im christlichen Glauben als Gott bezeichnet wird. Müller zitiert den Theologen Claus Westermann: «Die Engel sind älter als alle Religionen – und sie kommen auch noch zu den Menschen, die von Religion nichts mehr wissen wollen.»

In allererster Linie sind Engel jenseitige Wesenheiten, die als göttliche Boten auftreten. Woher aber stammt die Vorstellung, dass sie singen und musizieren? Wolfgang W. Müller verweist auf die antike Vorstellung der Sphärenmusik, also auf die Idee, dass die harmonische Ordnung des Weltalls irgendwie klingen, eine Art von kosmischer Musik erzeugen müsse.

Diese bereits bei den alten Griechen präsente Vorstellung setzte sich fort in mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Theorien, zum Beispiel beim deutschen Jesuiten und Universalgelehrten Athanasius Kircher (1602–1680). Damit verbindet sich die Idee, dass himmlische Wesen in diese klingende Harmonie eingebunden sind und diese musizierend mitverursachen. Auch für den deutschen Astronomen Johannes Kepler (1571–1630) drückte sich in den gleichförmigen Himmelsbewegungen die Musik der Engel aus.

Die Engelssprache ist Gesang

In den Schriften der abrahamitischen Religionen selbst finden sich ebenfalls deutliche Hinweise auf musizierende Engel. Zum Beispiel in den Psalmen des Alten Testaments. Oder in der Weihnachtsgeschichte des Neuen Testaments, wo es heisst (Lk 2,13–14): «Und auf einmal war bei dem Engel die ganze himmlische Heerschar, die lobten Gott und sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden unter den Menschen seines Wohlgefallens.» Es handelt sich hier um lobpreisendes «Sprechen», das man sich als Gesang vorzustellen hat, denn das Gotteslob erfolgt in jüdisch-christlicher Tradition musizierend als eigentliche göttliche Hofmusik.

Die Engelsmusik erlaubt einen niederschwelligen Zugang zu Fragen der Religion und des Glaubens.
Wolfgang W. Müller, Theologe und Autor

Engel und Musik sind so eng miteinander verwoben, dass es kaum erstaunt, dass die Kunst von musizierenden Engeln reich bevölkert ist: Müller verweist als Beispiele auf Caravaggio, Frau Angelico, Matthias Grünewald und andere, dazu auf eine muslimische Miniatur aus osmanischer Zeit.

Natürlich schlug sich die himmlische Engelsmusik auch in der irdischen Musik nieder. Bereits in mittelalterlichen liturgischen Hymnen wie dem Gloria, Sanctus oder Te Deum ist das Motiv des Engelsgesangs relevant, auch Komponisten der Neuzeit wie Johann Sebastian Bach, Georg Friedrich Händel, Anton Bruckner, Karlheinz Stockhausen und viele andere haben Musik mit Engelsbezug komponiert.

Satan und der Metal-Sound

In einem Exkurs blickt Wolfgang W. Müller auch auf den gefallenen Engel, also den Teufel. Auch ihm wird Musik zugeschrieben: Er ist Herr der Klänge, die sinnlich bezirzen zum Bösen verführen. Hier ortet der Autor einen Überlieferungsstrang von den mittelalterlichen Spielleuten bis hin zu heutigen Metal-Bands, von denen manche zu Teil versteckt, zum Teil offen mit dem Satanischen kokettieren.

Warum singen Engel? Dieser initialen Frage widmet sich das letzte Buchkapitel noch einmal. Weil, so der Autor, deren wichtigste Aufgabe nebst dem Botendienst das Darbringen des Gotteslobs ist. Eines Lobs, das die Menschen aufnehmen können – und das es ihnen ermöglicht, in Kombination von Wort und Klang «rituell wie performativ an die Grenze unserer räumlich-zeitlichen Wahrnehmung zu gehen». Oder, in anderen Worten: «Die Engelsmusik erlaubt einen niederschwelligen Zugang zu Fragen der Religion und des Glaubens.»

Wer sich für die kulturgeschichtliche und theologische Bedeutung der musizierenden Engel interessiert, findet in Müllers Buch profunde Erörterungen, die der Blick interreligiös weiten. Das Werk richtet sich gleichermassen an Fachleute wie ein interessiertes Allgemeinpublikum. Gerade mit Blick auf die Laien wäre es aber vielleicht hilfreich gewesen, den akademischen Duktus zugunsten einer etwas «populäreren» Sprache und Gedankenführung einzuhegen. Informationsfülle, klare Gliederung, überschaubare Kapitellänge, Bild- und Notenbeispiele sowie überraschende Einsichten in ein spannendes Thema machen dieses allfällige kleine Manko aber mehr als wett.

Wolfgang W. Müller: Musik der Engel; eine Kulturgeschichte. Schwabe Verlag, 2024