Den sicheren Hafen verlassen

Biografie

Vor 80 Jahren endete der Zweite Weltkrieg in Europa. Einen Monat davor wurde der Theologe Dietrich Bonhoeffer ermordet, der sich zum Widerstand gegen Hitler entschieden hatte. 

Dietrich Bonhoeffer wusste, in welche Gefahr er sich begab, als er den sicheren Hafen verliess. Nicht einmal zwei Monate bevor die Wehrmacht Polen überfiel und Adolf Hitler den Zweiten Weltkrieg auslöste, trat der Theologe die Heimreise an. 

In New York hatte Bonhoeffer das Angebot ausgeschlagen, Sommerkurse zu geben und Flüchtlinge zu unterrichten. Er habe kein Recht, «an der Wiederherstellung des christlichen Lebens in Deutschland nach dem Kriege mitzuwirken, wenn ich nicht die Prüfungen dieser Zeit mit meinem Volk teile».   

Pfarrausbildung im Untergrund

Im Juli 1939 kehrte Bonhoeffer ans Predigerseminar in Finkenwalde zurück, wo die Bekennende Kirche, die er mitgegründet hatte, illegal Pfarrer ausbildete. Bereits von 1935 bis zur polizeilichen Schliessung 1937 war er in Pommern tätig gewesen. 

Im März 1940 wurde auch die Arbeit im Untergrund unmöglich, weil die Gestapo das Seminar endgültig geschlossen hatte und die meisten Vikare ohnehin in die Wehrmacht eingezogen worden waren.   

Widerstand und Ergebung

Hans von Dohnanyi hatte Bonhoeffer bereits vor der Amerikareise in kursierende Umsturzpläne eingeweiht. Nun folgte der Theologe seinem Schwager in den Widerstand und ging zur Aussenstelle der militärischen Abwehr in München.

Bonhoeffer informierte Vertrauensleute, die er durch seine ökumenische Arbeit kennengelernt hatte, dass in Deutschland ein ernst zu nehmender Widerstand existiere. Damit sollte verhindert werden, dass die Alliierten nach einem Sturz der Naziführung Deutschland vollkommen zerstören würden.

Im Entscheid, sich der Gefahr auszuliefern, statt sich in New York in Sicherheit zu bringen, spiegelt sich jene Spannung, die später Bonhoeffers Freund Eberhard Bethge zum Titel des veröffentlichten und damals an der Zensur vorbeigeschmuggelten Briefwechsels machte: Widerstand und Ergebung. 

Ein ungeheurer Kraftakt

Am 5. April 1943 wurde Dietrich Bonhoeffer verhaftet. Schon länger war sein Dienst unter verschärfter Beobachtung gestanden. Im Gefängnis in Berlin fragte Bonhoeffer immer wieder nach den Grenzen zwischen «dem notwendigen Widerstand gegen das Schicksal und der ebenso notwendigen Ergebung».

Dabei ging es Bonhoeffer nie um eine resignierte Kapitulation. Die Ergebung bedeutete vielmehr einen ungeheuren Kraftakt. Widerstand und Ergebung griffen stets ineinander, bedingten sich.

Die guten Mächte

Nun meinte Ergebung gleichzeitig Widerstand: Bonhoeffer wollte sich nicht vom Hass zerfressen lassen, schloss die Bewacher in die Gebete mit ein, war anderen Häftlingen ein Seelsorger, bewahrte einen Blick für Glücksmomente: eine Blume, das Vogelnest im Gefängnishof. Und bis zuletzt die Erinnerungen an das Zusammensein mit geliebten Menschen und vertraute Texte.

Halt suchte Bonhoeffer in einem festgelegten Tagesablauf, verfasste Briefe und Gedichte, las viel: Literatur, wissenschaftliche Aufsätze und immer wieder in der Bibel. Insbesondere das Alte Testament wurde ihm in dieser Zeit wichtig. Nur auf dem Boden der jüdischen Bibel lasse sich das Neue Testament überhaupt verstehen, schrieb Bonhoeffer seinem Freund Eberhard Bethge einmal.

Überraschende Berufswahl

Dass Dietrich Bonhoeffer ein bedeutender Theologe wurde, war nicht unbedingt vorauszusehen. Die Berufswahl irritierte zumindest den Vater. Karl Bonhoeffer war Professor für Psychiatrie und Neurologie an der Berliner Charité. Die Mutter Paula von Hase hingegen war Pfarrerstochter, sie war es, die den Kindern biblische Geschichten erzählte, mit ihnen betete und für den Religionsunterricht verantwortlich war.

Geboren wurde Bonhoeffer am 4. Februar 1906 in Breslau. Er hatte eine Zwillingsschwester und drei Brüder sowie drei weitere Schwestern. 1912 zog die Familie nach Berlin, zuerst in eine Wohnung nahe des Tiergartens und später in eine Villa im Grunewald an der Havel. 

Die Bedeutung der Familie

1935 bauten sich die Eltern dann an der Marienburger Allee ihren Alterswohnsitz, der bis heute als Erinnerungs- und Begegnungsstätte erhalten geblieben ist. Ein Verein hat ein Museum eingerichtet, vor allem pensionierte Pfarrerinnen und Pfarrer führen Besucherinnen und Besucher dort auch in das Studierzimmer, wo Bonhoeffer arbeitete, wenn er zu jener Zeit einmal in Berlin war.

Die Familie blieb ein wichtiger Bezugspunkt. Renate Bethge sollte später sagen, «die Familie hatte so viel Gewicht, dass es für den Einzelnen ungleich schwieriger gewesen wäre, ein Nazi oder auch nur Mitläufer zu werden, als in den Widerstand zu gehen». Eine dramatische Zäsur in der Familiengeschichte war der frühe Tod von Walter Bonhoeffer im April 1918. Dass der Bruder im Ersten Weltkrieg gefallen war, blieb für den Pazifismus Dietrich Bonhoeffers sein Leben lang prägend.

Enttäuschte Hoffnung

Im August 1934 reiste Bonhoeffer auf die dänische Insel Fanø, wo der Weltbund und der Ökumenische Rat für Praktisches Christentum gemeinsam tagten sowie die Ökumenische Jugendkonferenz des Weltbundes für Freundschaftsarbeit der Kirchen stattfand.

In Deutschland verstand sich die Bekennende Kirche inzwischen als rechtmässige Evangelische Kirche, weil sich die Deutschen Christen vom Faschismus hatten vereinnahmen lassen. Bonhoeffer verlangte von der weltweiten Ökumene Konsequenz. An den Bischof Ove Valdemar Ammundsen appellierte er am 8. August 1934: «Es muss klar werden – so furchtbar es ist –, dass die Entscheidung vor der Tür steht: Nationalsozialist oder Christ.» 

Die Bekenntnissynode durfte darauf zwei Vertreter als Gäste zur Versammlung schicken, zudem wurde Bonhoeffer als einer von ihren zwei Abgeordneten in den Rat für Praktisches Christentum gewählt. In einer Resolution wurde die Bekennende Kirche zwar explizit gewürdigt, gleichzeitig sollte aber mit den Deutschen Christen ein freundschaftlicher Kontakt aufrechterhalten bleiben. Die von Bonhoeffer geforderte konsequente Abgrenzung vom Nationalsozialismus blieb aus.

Friede ist ein Wagnis

Bonhoeffer, für den die weltweite Ökumene immer von zentraler Bedeutung war, erinnerte die Kirche an ihren Friedensauftrag: «Nur das eine grosse ökumenische Konzil der Heiligen Kirche Christi aus aller Welt kann es so sagen, dass die Welt zähneknirschend das Wort vom Frieden vernehmen muss und dass die Völker froh werden, weil die Kirche Christi ihren Söhnen im Namen Christi die Waffen aus der Hand nimmt und ihnen den Krieg verbietet und den Frieden Christi ausruft über die rasende Welt.» 

Allerdings bleibt der Friede ein Wagnis, er setzt Vertrauen voraus. Dass sich Bonhoeffer dem gewaltsamen Widerstand gegen Hitler anschloss, steht nicht im Widerspruch zu seinem Pazifismus: Das Attentat auf den Führer sollte den Krieg beenden. Dennoch blieb die Tötung für ihn ein Akt, mit dem sich der Attentäter bewusst schuldig machte. 

Am 9. April 1945 wurde Bonhoeffer im Konzentrationslager Flossenbürg ermordet. Nur knapp einen Monat später erklärte Deutschland die Kapitulation.