Hut, Stock, Pellerine plus womöglich eine Jakobsmuschel, die am Rucksack baumelt – so das obligate Standardoutfit der Pilgerinnen und Pilger. Franziska Bark Hagen wartet bei der Triemlihaltestelle in T-Shirt, Jeans und Trekkingschuhen, eine grüne Sonnenbrille im Haar, dezentes Make-up im Gesicht. Am knallgelben Stoffrucksack hat sie einen beigen Blazer unter den Lederriemen geklemmt. Zehn Minuten später bricht sie einen Samenstand am Wegrand ab, um sich mit dem trockenen Stiel den blonden Chignon zu fixieren.
Gehend durchlässig werden
Die Zürcher Pilgerpfarrerin ist eine unkonventionelle Erscheinung, in jeder Hinsicht. Eine Art vielfarbiger Paradiesvogel, der sich auf dem Werdeflug mit vielen Federn geschmückt hat. In den 90ern hat sie in Berlin todschicke Schuhe verkauft, um sich das Weiterstudieren zu finanzieren: in Jüdischen Studien. Davor hatte sie in England Malerei und später Literatur, Philosophie und Religion studiert. In der pulsierenden neuen deutschen Hauptstadt malt sie dann auch abstrakte Bilder,
stellt sie aus und arbeitet im Jüdischen Museum.
Aber da gab es noch die andere Seite in ihr: Das Malen war «wie ein Gebet», die Beschäftigung mit jüdischen Traditionen vertiefte den Zugang zum Glauben. In ihrer Doktorarbeit 2009 befasste Franziska Bark sich mit dem «Heiligtum im Kopf der Leser»; sie untersuchte die ellenlangen Beschreibungen des Stiftszelt-Baus im Alten Testament (Ex 25–40). Sie gerät ins Feuer, wenn sie davon erzählt, ganz die fundierte Theologin, die sie seit dem Quereinstieg-Studium in Zürich seit 2021 ist.
«Das Wüstenheiligtum ‹mischkan›, das wir als das Stiftszelt kennen, wird im Verlauf der Erzählung zum Zelt der Begegnung. Wir sprechen immer davon, dass wir Gott suchen, aber es ist eben auch umgekehrt: Gott will mitten unter uns sein.» Da scheint ihr Gottverständnis als Pilgerpfarrerin durch: «Wenn wir pilgern, versuchen wir, durchlässig zu werden für das Göttliche, wie es sich in der Natur zeigt.»
In der grünen Kathedrale
«Wenn wir offen dafür sind, ist da der Wald, die Eiche, die Wurzel, der Stein, die zu einem predigen.» Schon Bernard von Clairvaux habe gesagt: «Holz und Stein lehren dich. Alle Kreatur ist Buch, Bild und Spiegel Gottes.» Seit etwas mehr als einem Jahr leitet sie nun als gewählte Pilgerpfarrerin das Zürcher
Pilgerzentrum. Am aktuellen Programm lässt sich ihre Handschrift ablesen: Sie feiert pilgernd Erntedank oder lädt zum entschleunigten Feierabendpilgern quer durch Zürich ein. Oder sie pilgert mit Frauen mit Krebsdiagnose. Man kann sich mit ihr auch «unter das hohe Blätterdach der grünen Kathedrale» begeben, fürs «Pilgern und Feiern im Wald».
Die verkonsumierte Natur
Für heute hat Franziska Bark einen Gang vom Triemli auf den Zürcher Hausberg vorgeschlagen, auf ihrer Hausstrecke. Beim Aufstieg durch den Wald auf den Uetliberg geht sie Atem holen vom strengen Alltag. Wobei sie heute etwas kurzatmiger ist als sonst, die Pollen machen ihr zu schaffen. Am Wegrand sind gerade goldgelb die ersten Huflattichsonnen aufgeblüht, daneben ragen die Dolden der Pestwurz aus dem lehmigen Boden, ein erster Zitronenfalter flattert vorbei.
In ihren Ausschreibungen verweist die Pilgerpfarrerin auch gern auf die «Grünkraft», wie Hildegard von Bingen die Heilige Geistkraft auch nennt: die göttliche Lebenskraft, die beim Gang durch die Natur erahnbar wird. Sich mit ihr zu verbinden, sei das Gegenteil unseres gängigen instrumentellen Naturbegriffs: «Ihre Erscheinungen werden erforscht, beherrscht, nutzbar gemacht, in Gebrauch genommen, verkonsumiert. Es geht nicht darum, wogegen der
Huflattich als Heilpflanze nützt, sondern ihn wahrzunehmen.»
Ein Freudenfest feiern
Pilgern schafft für sie einen anderen Zugang zur Schöpfung: «porös, immersiv und vertrauensvoll». Das Beste, was beim Pilgern passieren könne, sei: «Dass wir uns als immer schon in den Strom des Lebens eingebettet erfahren – und sich darüber eine tiefe Freude einstellt». Franziska Bark Hagen gibt sich überzeugt: «In Zeiten wie diesen, in welchen wir in Anbetracht der Weltpolitik zunehmend sprachlos und gelähmt sind, kann das Pilgern eine Quelle grosser Freude und Zuversicht sein.» Ganz im Sinne des Slogans ihres Pilgerzentrums: «Pilgern macht das Herz weit und den Atem frei.»