Gesellschaft 02. Juni 2025, von Imke Marggraf

Es gibt noch viel zu tun in Sorte

Unwetter

Am 21. Juni 2024 verwüsteten Murgänge Teile der Mesolcina. Besonders hart traf es den Weiler Sorte in Lostallo. Drei Menschen kamen zu Tode, viele verloren ihr Zuhause. 

Es betrifft einen halt, wenn man das so hautnah miterlebt.
Barbara Mettler, Kirchenvorstand der Comunità evangelica-riformata Mesolcina/Calanca

Das Postauto fährt von Lostallo Nord Richtung Grono. Längst sind Kantonsstrasse und A13 wieder hergerichtet. Sorte hingegen, das Dorf zur Rechten, ist noch immer ein grosser Steinhaufen und mittendrin ein grosses, grünes verrammeltes Haus. Nur ein paar Meter weiter, unmittelbar neben den Gesteinsmassen steht jenes von Oliver Steiner. 

Vor einem Jahr fand er sich im Chaos wieder, machte sich daran, aufzuräumen. Doch kaum war das Gröbste beiseite geschafft, begann ein schier endloser Papierkrieg. Oliver Steiner sagt, manchmal sei es halt mühsam mit dem Versicherer. «Aber es sollte doch allen klar sein, dass die das bezahlen müssen, wenn es Elementarschaden ist.»

Viel Bürokratie

Doch so einfach ist es nicht. Drei Jahre habe er Zeit für die Renovation, das sieht das Versicherungsreglement vor. Doch im ersten Jahr sei noch kaum etwas passiert, weil der 66-Jährige wieder und wieder neue Kostenvoranschläge einreichen musste. Nun habe er Angst, nicht zeitig fertig zu werden, sagt Oliver Steiner, der auch Mitglied im Kirchenvorstand ist. Immerhin helfe man sich untereinander. 

Dem stimmt Barbara Mettler zu. Ihr Zuhause war vom Murgang nicht direkt betroffen. Menschlich war sie es schon. Und das sei bis heute so. «Ich hatte letzthin noch ein Treffen mit einer Frau, da ist der Keller und die Garage mit den Autos einfach weg, und sie sind jetzt noch im luftleeren Raum, weil sie nicht wissen, wie es weitergeht. Es betrifft einen, wenn man dann das so hautnah miterlebt», erzählt sie.

Alltag erschwert

Die Urgewalt hat nicht nur das Dorf räumlich geteilt, sie hat zugleich in sozialer Hinsicht trennend gewirkt, meint Susanne Ortmann, Pfarrerin der Comunità evangelica-riformata Mesolcina/Calanca: «Wenn man auf der Landstrasse fährt, ist das Chaos von Sorte zu sehen, aber an anderen Orten ist es, als ob nichts gewesen wäre. Und so ist es, glaube ich, auch bei manchen Menschen im Dorf, bei einigen bleibt es tief eingegraben, für sie bleibt das Chaos. Das zeigt sich daran, dass die Frau, die das überlebt hat unter den Steinen, nun weggezogen ist. Auf der anderen Seite gibt es Bewohner, die sagen, das gehört zu unserem Tal dazu, das passiert immer wieder. Wir leben weiter. Und ja, es wirkt dann so, als ob nichts gewesen wäre.» 

Barbara Mettler ergänzt, welche alltagspraktischen Probleme das Ereignis aufgeworfen hat und wie es zeigt, wo es viel Verständnis gibt und wo wenig bis keines: «Die Telefongesellschaft, die einfach nicht begreifen will, was abgeht. Und die Leute, die dastehen und sich immer wehren müssen und trotzdem nicht für voll genommen werden.» 

Dann erklärt Barbara Mettler, dass ihr Gottvertrauen gar gewachsen sei in diesem Jahr, weil sie sich immer beschützt und behütet empfunden und viel gebetet habe. 

Spürbare Solidarität 

Pfarrerin Susanne Ortmann verteilt unterdessen Teigwaren. Denn heute ist Kindernachmittag im Centro Evangelico. Nach dem gemeinsamen Essen findet sie Zeit, Revue passieren zu lassen, welche Wirkung das Naturereignis auf die Gemeinde hatte: «Also am Anfang war der Zusammenhalt in der Dorfgemeinschaft sehr stark, eine sehr grosse Solidarität war spürbar. Das hat die Menschen zusammengeschweisst. Man half einander überall.»

Nicht nur das gemeinsame Sammeln von Spenden im Gottesdienst habe geholfen, sagt Ortmann. Vielmehr hätten auch die Menschen gemerkt, dass hier die Kirchgemeinde vor Ort für alle da sei, unabhängig von der Konfession. 

Hasen auf dem Stall 

Inzwischen habe sich das wieder verändert. Vor allem die Konfessionszugehörigkeit sei wieder mehr in den Vordergrund gerückt. Dankbar sei sie der Landeskirche für die finanzielle Unterstützung. 

Dann steht plötzlich die elfjährige Runa vor der Pfarrerin. Das Mädchen sagt, dass es ihre beiden Hasen doch eigentlich auch gut gemacht hätten: «Sie sind einfach aufs Dach des Stalls gehoppelt und haben so alles gut überlebt.»

Das hat die Menschen zusammen­geschweisst
Susanne Ortmann, Pfarrerin