Gesellschaft 10. Dezember 2024, von Isabelle Berger

«Die Täter leiden unter dem Patriarchat»

Prävention

Miriam Suter sprach mit Fachleuten, Politikern und Aktivistinnen über Männergewalt. Sie verlangt ein gesellschaftliches Umdenken.

Warum töten Männer Frauen? 

Miriam Suter: Allen Femiziden geht eine gewisse Anspruchshaltung des Mannes gegenüber der Frau voraus. Er hat das Gefühl, die Frau gehöre ihm. Das kommt in romantischen Beziehungen und Familien vor, selten auch in Freundschaften. Keine Rolle spielt dabei, ob sich der Mann die Beziehung einbildet oder nicht. Für die Frauen wird es jeweils gefährlich, wenn sie sich aus diesen Beziehungen lösen wollen. 

Lassen sich einheitliche Muster erkennen bei Tätern, die ihre Frauen oder Töchter töten? 

Die Täter stammen aus allen Gesellschaftsschichten, Altersgruppen, Berufen und Herkunftsländern. Es sind insgesamt aber Männer, die unter dem patriarchalen Männerbild leiden: «Du musst eine Frau haben und sie ernähren können.» Verliert ein Mann seine Frau, ist er demnach kein «richtiger» Mann mehr. 

Was läuft in der Schweiz falsch, dass alle zwei Wochen eine Frau von ihrem Ehemann, Lebensgefährten oder Ex-Partner getötet wird und viele weitere Frauen Opfer von Männergewalt werden? 

Ein grosser Faktor ist, dass Gewalt gegen Frauen als Privatsache angesehen wird. Diese falsche Haltung führt dazu, dass Betroffene sich nicht getrauen, über erfahrene Gewalt zu sprechen. Und die Täter lernen, dass sie davonkommen. Auch fängt Gewalt gegen Frauen nicht erst beim Schlagen an, sondern zum Beispiel schon beim sexistischen Witz. Es gibt viele frauenfeindliche Narrative, die sich hartnäckig halten. Dass eine Frau mitschuldig sei, wenn sie vergewaltigt wird, zum Beispiel.

Miriam Suter, 36

Die freie Journalistin und Autorin Miriam Suter befasst sich vor allem mit feministischen und gesellschaftskritischen Themen. Mit SlamPoetin Lisa Christ produziert sie den feministischen Podcast «Faust und Kupfer".

Die Schweiz hat die Istanbul-Konvention zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt 2017 unterzeichnet. Was tut das Land bereits konkret? 

Nicht so viel. Das Problem ist der Föderalismus: Für die Umsetzung der Konvention sind die Kantone zuständig, ein landesweit koordiniertes Vorgehen ist daher schwierig. Zu den Hauptforderungen gehören genug Anlaufstellen für Opfer von geschlechtsspezifischer Gewalt, eine Sensibilisierungskampagne und eine landesweit einheitliche Notfallnummer. All dies ist noch nicht umgesetzt. Insgesamt ist der Aufholbedarf massiv und den Verantwortlichen bewusst. Er kostet Frauen- und Mädchenleben. 

Wie können Männer daran gehindert werden, zu Tätern zu werden? 

Es braucht ein gesellschaftliches Umdenken. Die Männer müssen anerkennen, dass es nicht nur um «ein paar böse Männer» geht, sondern ein Männerproblem ist und darum eine Männerlösung braucht. 

Wie sollen sie das Problem lösen? 

Sie müssen sich fragen, wie es bei ihnen selbst aussieht. Da helfen Angebote wie das Mannebüro in Zürich. Selbstreflexion ist auch im Alltag nötig, etwa im Freundeskreis. Männer sollen es zur Sprache bringen, wenn ein Kollege mit einer Frau unangemessen umgeht. Und sie sollten reagieren, wenn sie Gefahr laufen, selbst Täter zu werden. 

Reichen die Angebote für Männer, die ein Gewaltproblem haben, aus?

Zurzeit gibt es genug. Sie werden zunehmend genutzt, was erfreulich ist. Denn das bedeutet nicht unbedingt, dass es mehr Täter gibt. Vielmehr möchten Männer immer häufiger vorsorgen, damit nichts passiert.

Miriam Suter, Natalia Widla: Niemals aus Liebe. Männergewalt an Frauen. Limmat, 2024, 296 Seiten.