Gesellschaft 10. Dezember 2024, von Isabelle Berger

Damit Männer ihre Wut beherrschen

Gesellschaft

Im Mannebüro Züri lernen gewalttätige Männer besser mit ihrer Aggression umzugehen. Männer mit Migrationshintergrund finden Hilfe bei interkulturellen Beratern.

Die Polizeistatistiken sprechen eine deutliche Sprache: Gewalttaten werden viel häufiger von Männern begangen als von Frauen. Was die Ursachen sind, weiss das Mannebüro Züri: Die Fachstelle hat sich auf Männergewalt spezialisiert und berät in ihrem Büro an der Zürcher Langstrasse unter anderem Männer, die Gewalt anwandten oder selbst erlitten. Wenn ein Mann im Kanton Zürich wegen Gewalttätigkeit ins Visier der Polizei gerät, kann es sein, dass er dorthin geschickt wird. 

Geschäftsleiter des Mannebüros ist seit zehn Jahren Mike Mottl. Er sagt, dass die Gewaltberatungen seines Teams sehr erfolgreich seien, jedoch: «Wir erreichten damit bisher nur Männer aus dem westeuropäischen Raum.» An Tamilen, Eritreer oder Brasilianer etwa seien sie nicht herangekommen. Ein bedeutendes Hindernis war die Sprache. «Eine Gewaltberatung ist sehr persönlich. Sie funktioniert nicht mit einem Dolmetscher», erklärt Mottl.

Mehrsprachige Beratungen 

Deshalb lancierte das Mannebüro 2022 interkulturelle Gewaltberatungen: Acht Männer aus verschiedenen Herkunftsländern mit entsprechenden Sprachkompetenzen und einer Ausbildung im sozialen Bereich wurden als Gewaltberater ausgebildet. Somit kann das Mannebüro in rund einem Dutzend zusätzlichen Sprachen begleiten und informieren. 

Einer der neuen Berater ist der gebürtige Tamile Jathurshan Premachandran. Der 39-jährige Sozialarbeiter kennt Flucht und Migration aus seiner eigenen Erfahrung. Seit dem Start im Mannebüro hat er vier Klienten beraten. Zu solchen Angeboten fänden Migranten schwerer Zugang als Männer, die schon länger in der Schweiz leben, bestätigt auch Premachandran. 

«Die erste Einwanderergeneration der Tamilen lebt immer noch sehr unter sich und ist für das Thema Gewalt nicht sensibilisiert», so Premachandran. Da viele der Männer keine Schweizer Landessprache beherrschten, seien sie nicht gut informiert über hiesige Rechte und Pflichten und Beratungsangebote.

Skeptisch, dann dankbar

Manche seiner Klienten sind dankbar, mit ihm in der Muttersprache sprechen zu können. Allerdings befürchten einige, dass er viele Tamilen kenne und ihnen das ihm Anvertraute weitererzähle. «Aber ich stehe unter Schweigepflicht», betont er. 

Manche Klienten des Mannebüros kommen aus eigenem Antrieb. Andere werden von der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde, der Staatsanwaltschaft oder dem Bewährungs- und Vollzugsdienst für eine Gewaltberatung zugewiesen. Grundsätzlich ist die Gewaltberatung im Mannebüro freiwillig. Nach einem Erstgespräch kann sich der Klient entscheiden, ob er weiterhin in die Beratung kommen will. Er kann sie jederzeit abbrechen. 

«In den Sitzungen lernen die Klienten zunächst, dass Gewalt nicht nur körperliche Auseinandersetzungen umfasst, sondern auch psychische», sagt Berater Premachandran. «Etwa, zu Hause laut zu sein gegenüber Kindern und Ehefrauen.»

Die Männer können nach der Gewaltberatung besser mit Stress umgehen, sodass sie nicht mehr gewalttätig werden.
Jathurshan Premachandran Interkultureller Gewaltberater

Die Männer sollen lernen, die Tat zu verstehen und Verantwortung zu übernehmen für ihr Handeln. Insbesondere gilt das für die eigenen Emotionen wie Wut oder Frustration. Gemeinsam mit den Klienten analysiert Premachandran, wann sie wütend werden. Er übt mit ihnen Strategien, die verhindern, dass sie von solchen Gefühlen erfasst werden. 

Männer mit Migrationserfahrung leiden oft unter hohem Stress, der mit ihrer spezifischen Lebenssituation zusammenhängt. «Viele arbeiten viel und verdienen wenig.» Der finanzielle Druck und prekäre Arbeitsbedingungen könnten dazu führen, dass die Männer zu Hause schnell in Zorn gerieten. Eine Studie in Zürich ergab ausserdem, dass der Alkoholkonsum unter Tamilen sehr hoch sei – auch dies in der Regel ein Symptom von Stress. 

Sich in der Beratung zu öffnen, fällt vielen Klienten nicht leicht. Von Sitzung zu Sitzung baut Premachandran Vertrauen auf. «Häufig erwähnen sie erst nach dem dritten oder vierten Treffen zum Beispiel ein Alkoholproblem», sagt Premachandran. In einem solchen Fall vermittelt er einen Klienten auch an eine spezialisierte Beratungsstelle weiter.

Sensibilisieren für Gewalt

Die Beratungen zeigen Wirkung. Die Klienten seien dankbar für die Hilfe, so Premachandran. «Sie sagen, heute besser mit Stress umgehen zu können und nicht mehr gewalttätig zu sein.» 

Die interkulturellen Gewaltberater des Mannebüros Züri werden im neuen Jahr auch in einer anderen Form eingesetzt. «Die Idee ist, dass sie in ihre Gemeinschaften – etwa den Fussballklub oder die Moschee – gehen, um die Leute dort für das Thema häusliche Gewalt zu sensibilisieren», sagt Mike Mottl. Ein erster Workshop befindet sich in Ausarbeitung.