Wie haben Sies mit der Religion, Herr Schmidt?
Darf ich Ihnen eine Geschichte erzählen? Meinen ersten Islandwinter verbrachte ich auf einem Bauernhof. An Weihnachten gingen alle zur Kirche, aber ich zog es vor, im Fjord wandern zu gehen. Der Pfarrer fragte meinen Bauern, warum ich nicht zur Messe erschienen sei. Der antwortete: «Er sucht seinen Gott in der Natur.» Ich hätte es nicht besser ausdrücken können.
Haben Sie Ihren Gott gefunden?
Nein. Ich glaube nicht an Gott, obwohl ich auf dem Bauernbetrieb des Klosters Cazis aufgewachsen bin. Ehrlich gesagt, hadere ich mit Religion. Wenn Menschen das Gefühl haben, besser zu sein als andere, nur weil sie einer bestimmten Religion angehören, dann wird es gefährlich. Schon früh begann ich, den Glauben zu hinterfragen, was vielleicht unserem schrecklichen Dorfpfarrer und unserer Kindergärtnerin, einer wirklich gemeinen Nonne, zu verschulden ist.
Sie sagen, Ihre Romanfiguren entwickeln manchmal ein Eigenleben, während Sie schreiben. Ist da eine göttliche Eingebung?
Eine unglaubliche Schöpfungskraft steckt in uns allen. Wir Menschen sind ein Wunder. Ich glaube aber, dass Kreativität vom Gelebt- und Erlebt-Haben kommt. Erlebnisse, die ich unterbewusst abgespeichert habe, kommen während des Schreibens plötzlich hoch. Mein Romanheld Kalmann zum Beispiel gleicht manchmal meinem kindlichen Ich.
Sie haben aus Wilhelm Tell einen Antihelden gemacht. Haben Sie einmal daran gedacht, Jesus in einem Roman neu zu interpretieren?
Tolle Frage, aber nein. Ich weiss nur wenig über Jesus. Aber dass er den Dieb, der neben ihm am Kreuz hing, ins Paradies einlud, ist grossartig. Wir sind oft sehr harsch zueinander, erlauben uns keine Fehler. Wir sollten liebevoller, geduldiger miteinander umgehen. Schliesslich haben doch alle irgendeinen Schaden.