Meinung 01. März 2025, von Barbara Zanetti

Der Weg der Stille führt nach innen bis zu Gott

Spiritualität

Stille ist in der heutigen Zeit ein seltenes Gut geworden – und doch sehnen sich viele Menschen nach dieser heilenden Kraft. In diesem Essay wird erklärt, wie Stille zu finden ist.

In der Oktober-Ausgabe 2024 von «reformiert.» schrieb ich über Ursprung, Wirkung und Wesen der Stille. Unter anderem führte ich aus, dass Stille in unbekannte Tiefen führt und keine Grenzen kennt. Sie liegt jenseits vom Denken, jenseits vom Ego. In ihr sind wir uns selbst und mit dem Ewigen in Kontakt. 

Im Folgenden lege ich dar, wie es gelingen kann, zur Stille zu gelangen. Zunächst: Stille ist, wir können sie nicht herstellen. Hinweise in der Bibel zeigen, dass Menschen die Stille mit Gotteserfahrung in Verbindung bringen. Elia erfährt Gott nicht im Sturm und im Erdbeben, sondern im leisen Flüstern eines Windes (Bibel, 1. Kön 19). 

Auf der Suche nach Heilung

Indische Weisheitsschriften berichten davon, dass die Stille den Urgrund von allem darstellt. Die Schöpfung, der ganze Kosmos, sind Ausfaltungen dieser Stille. Sie befindet sich in unseren Herzen, ein innerster Raum des Heilseins und des Friedens. Wollen wir sie zur Entfaltung bringen, müssen wir sie zuerst erkennen. Und dann all das wegräumen, was ihr entgegensteht.

Menschen berichten, was sie zur Suche nach Stille angetrieben hat: Eine Frau wurde tief berührt durch den Gesang von Novizinnen in einem Kloster. Enttäuscht von der Kopflastigkeit des Theologiestudiums, machte sich eine andere auf die Suche nach einem Herzensweg, auf dem Erfahrungen des Göttlichen möglich werden. 

Barbara Zanetti, 61

Nach dem Theologiestudium in Bern und Aix-en-Provence arbeitete sie als reformierte Pfarrerin. Daneben absolvierte sie ein Psychotherapiestudium und Ausbildungen in Integraler Spiritualität und Spiritueller Traumarbeit. Heute begleitet sie freischaffend Menschen psychologisch und spirituell und ist journalistisch tätig.

www.heimkehrenzurquelle.ch

Menschen wurden durch Krankheit, Trennung, den Verlust eines Angehörigen aus dem Alltagstrott geholt und in eine unbekannte Tiefe geführt. Bei wiederum anderen war es eine unbestimmte Sehnsucht: ein unklares Leiden, obwohl ihr Leben im Aussen erfüllt und gut war.

Die treibende Kraft bei alledem ist die Sehnsucht. Sie ist eine starke seelische Energie und zugleich etwas Zartes und Intimes. Sie ist ein schmerzhaftes Vermissen des Wesentlichen. Ein Verlangen nach All-eins-Sein, nach einer allumfassenden Liebe, nach Heilung und letztlich Erlösung.

Kommen Gedanken, ertränken wir sie in der Liebe 

Wie kommen wir dahin? Ein Zugang liegt in der Kontemplation und Meditation: Wir üben, die Gedanken zu beruhigen, uns leer zu machen und in den Frieden des Herzens zu kommen. Dabei tauchen wir tief in unser Innerstes ein, an den Ort, wo wir Stille, Liebe und Frieden finden. 

Alles von uns ist darin eingehüllt, in die Liebe Gottes aufgenommen. Kommen Gedanken daher, ertränken wir sie im Gefühl der Liebe, lösen sie darin auf. Die Liebe ist die höchste Kraft im Universum und vermag alles zu wandeln.

Unbewusstes will angeschaut und integriert werden, denn es geht darum, die Gegensätze in uns zu vereinen.

Eine Hilfe ist die Begleitung durch eine Lehrperson. Auch eine Meditationsgruppe ist unterstützend. Es ist eine bewusstseinsleerende Übung der Hingabe, des Loslassens von Kontrolle und Machen. Dabei schwingt sich der Mensch auf eine höhere Frequenz ein. Wir werden beschleunigt, dadurch kommt Unbewusstes hoch. Das will angeschaut und integriert werden, denn es geht darum, die Gegensätze in uns zu vereinen.

Das Herzensgebet

Ein anderer Weg ist die Mantrapraxis. Bei dieser Übung wird das Bewusstsein fokussiert: Die praktizierende Person wiederholt ständig eine heilige Formel, ein Mantra. Es ist ein aufgeladenes Wort, hochschwingend, das von der Lehrperson gegeben wird oder das wir auswählen können. 

In der christlichen Tradition sprechen wir einatmend innerlich: Jesus Christus, ausatmend: Erbarme dich meiner. Am Anfang sind Disziplin und Bemühen erforderlich, später geschieht das Herzensgebet von selbst.

Wenn wir der Stille nachgehen, erfahren wir eine Wandlung.

Wenn wir der Stille nachgehen, erfahren wir eine Wandlung. Rein äusserlich bleibt alles gleich. Wir arbeiten am PC, kochen und putzen. Innerlich beginnt sich das Bewusstsein zu verändern, Welt und Person werden aus einer anderen Perspektive wahrgenommen. Zuerst in einzelnen Erfahrungen, dann häufiger, erleben wir sie als nicht mehr getrennt von uns. 

Wir erfahren uns als Welle im Ozean, die sich als dem Ozean zugehörig erkennt und nicht mehr als einzelne Welle. Es ist still, ewig, unendlich, bewusst, nichts und dennoch in Verbindung mit allem. Die Persönlichkeit fordert kein Müssen und Wollen mehr, das Leben ist, wie es ist. In diesem Ja-Sagen liegen Freiheit und Mühelosigkeit. 

Der innere Weg zur Stille endet nie. In ihr hören wir Gottes Ton. Wir können darin einstimmen, Ebenbild von Gott zu sein.