Porträt 13. November 2023, von Christian Kaiser, Vera Kluser, (Video)

Der Generator der Herzenskraft

Kunst

Erwin Schatzmann baut seit 15 Jahren am «Morgenland». Und schon viel länger an seiner christlichen Spiritualität. Jetzt erhält er einen Kunstpreis für sein Lebenswerk.

Das «Morgenland» ist ein Märchenland. Ein Land, in dem die Sonne der Zukunft aufgeht. Auf einen mit Bostich an einen Mast gehefteteten Zettel hat Erwin Schatzmann den Satz notiert: «Morgenland: Die Vorwelt wird in der Gegenwart zur Zukunft verknüpft.» Zuerst einmal erhalten aussortierte Erinnerungsstücke ein neues Leben. Erwin Schatzmann ist ein Sammler, der in seinem Sammelsurium lebt, er ist einer, der Sakrales und Profanes frisch kombiniert, ein Pionier der Upcycling-Kunst.  

Was 2009 mit einem Container und einem Werkplatz unter freiem Himmel begann, ist zu einem Konglomerat an Räumen aus Steinmauern, Bretterverschlägen und Wellblechdächern geworden. Und alles ist durchsetzt von Hunderten bunter Skulpturen mit märchenhaftem Anstrich und orientalischer Note.   

Erwin Schatzmann führt durch den «Morgenland Off Space»

Ein Gesamtkunstwert

Am 16. November wird er hier den Carl-Heinrich-Ernst-Preis für sein Lebenswerk erhalten. Das Morgenland ist Wunderkammer, bewohnte Skulptur und soziale Plastik. Es ist eine Art Herzkammer von Schatzmanns vielfältigem Schaffen. 

«Ich bin nur der Platzwart», sagt er, aber natürlich ist er viel mehr als das. Holzbildhauer, Maler, Aphorismenschreiber und Philosoph. Und Schneider. «Ich nähe gern», sagt er. In der Rüstkammer hängt sein Markenzeichen: seine unverkennbare Garderobe, umgeschneiderte Uniformen, verzierte Mäntel, selbst bemalte Hemden und Hosen, alles Marke Schatzmann. Und jede Menge aus der Zeit gefallene Kopfbedeckungen: Zylinder, spitze Mützen, Helme, Uniformhüte. «Der Erwin» ist eine Erscheinung, die man in Winterthur von Weitem erkennt.  

Selbst nennt er sich auch gern «Generator». Wie er das meint, wird erst klar, wenn er über die Symbolik des Herzens ins Schwärmen gerät. Im maulwurfshöhlenartigen Kunstbau stehen einige grosse rote Holzherzen. Sie sind mit Stacheldraht umkränzt, mit Nägeln bespickt oder von Pfeilen durchbohrt. Angetan hat es dem Künstler auch die Christusfigur mit dem flammenden Herzen. Ihn gibt es in Schatzmanns Sammlung gleich dutzendfach.

Die Kraft des Schöpfers

Ein Generator erzeugt nicht nur Neues, er ist auch ein Energiekraftwerk. Und das will Schatzmann sein. Mit einem Herzen, das brennt, für sein Werk und für die Menschen. Er versteht sich als ein Mitarbeiter Gottes, der von seinem Wirkort aus ausstrahlen will, nicht gleich in die ganze Welt hinaus, aber immerhin in seine Stadt und die Region. 

1996 wollte Schatzmann mit einer Initiative den Winterthurerinnen und Winterthurern einen Badesee schmackhaft machen, immerhin ein gutes Drittel der Stimmenden war dafür. Auch initiierte er das Projekt «Heiliges Winterthur» mit, das sich zum Ziel setzte, ehemals sakrale Orte in Erinnerung zu rufen.  

Das Erweckungserlebnis

Vor 43 Jahren hatte er ein christliches Erweckungserlebnis: «Ich bin mit Feuer getauft.» Seither brennt sein Herz für die Kunst, schnitzt, sägt, pinselt er Tag für Tag: Gleich dem Weinstock im Gleichnis will er ein «fruchtbarer Mensch» sein und Schönes erschaffen, als Ausdruck der göttlichen Harmonie. 

Die bunten Blumenblütengirlanden verzieren viele seiner Werke. Seit Jahrzehnten schnitzt er Bibelsprüche in lateinischen Versen ins Holz. Seine Lieblingsstelle steht über einer Art Torbogen im «Tempel der Freundschaft», wo er jeweils Gäste empfängt: «Gott ist Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott bleibt in ihm» (1 Joh 4,16). 

Auf einer aus runden Backsteinen gemauerten Empore liegt ein grosser grüner Hund als Sitzbank, auf der Rückenlehne in Rot erneut die Aufschrift «Morgenland» unter einer goldenen Sonne. Für Schatzmann symbolisiert das Morgenland auch einen Weckruf in einen neuen Tag der christlichen Tatkraft. Oder 1001 Tage.