Wer war Bernardo Ochino?
Ein italienischer Franziskanermönch, 1478 in Siena geboren. Später wurde er Prior der Kapuziner, die den Weg zurück zu den franziskanischen Wurzeln suchten. Früh schon öffnete er sich dem reformatorischen Gedankengut. Dabei stand er in intensivem Austausch mit Humanisten und auch mit einflussreichen adligen Damen. Er wurde zum Hoffnungsträger der innerkatholischen Reformbewegung. Sogar der Papst förderte ihn. Als die Machtverhältnisse dann kippten, musste er vor der römischen Inquisition flüchten. Über Graubünden reiste er nach Genf, wo er 1542 Prediger der Gemeinde italienischer Protestanten wurde und heiratete.
Nach Zürich geholt und aus Zürich verbannt
Ueli Greminger, ehemaliger Pfarrer am Zürcher St. Peter, hat einen Roman über den reformatorischen Theologen Ochino geschrieben. Dieser wurde 1563 aus der Zwinglistadt verbannt.
Später hat ihn der Zürcher Reformator Heinrich Bullinger nach Zürich gerufen. Warum?
In Locarno hatte sich damals eine reformierte Gemeinde gebildet. Doch 1554 beschloss die Schweizer Tagsatzung, dass das Tessin katholisch bleiben muss. Wer nicht vom reformierten Glauben abliess, musste weggehen. So kam es, dass rund 100 Personen ein Jahr später in Zürich Zuflucht fanden. Heinrich Bullinger hatte sich beim Stadtrat dafür eingesetzt, die Glaubensflüchtlinge aufzunehmen. In der Kirche St. Peter konnten sie ihre eigenen Gottesdienste abhalten. Und Bullinger holte für sie Ochino als Prediger nach Zürich.
Doch 1563 wurde Ochino vom Zürcher Stadtrat wegen Ketzerei verbannt. Was ist da passiert?
Ochino war ein weltoffener Geist. Er hat auch die Zürcher Pfarrer kritisiert. Das führte zu Irritationen. Zudem lösten die tüchtigen und schon bald etwa im internationalen Seidenhandel und im Bankenwesen sehr erfolgreichen Locarnesi Verteilängste in Zürich aus.
Was war der Grund für die Verbannung von Ochino?
Offiziell war es die Schrift «30 Dialoge». Man warf ihm vor, dass er sich zu wenig kritisch gegenüber der Vielehe geäussert hatte. Die Historiker jedoch sind sich einig, dass dieser Vorwurf nicht begründet, sondern vorgeschoben war. Man wollte an ihm ein Exempel statuieren, um die Locarnesi in die Schranken zu verweisen.
Bullinger wurde vom Stadtrat in der Sache befragt, hat sich aber nicht für Ochino eingesetzt. Warum?
Es ist denkbar, dass ihm Ochino unterdessen auch zu aufsässig geworden war. Hinzu kam die schon erwähnte Ablehnung, die sich in Zürich gegenüber den Tessiner Einwanderern breit machte. Sie wurden zwar in die Zünfte aufgenommen, aber weil sie wirklich sehr erfolgreich waren, auch beneidet. Ich denke, dass Bullinger unter dem Druck des Stadtrats eingeknickt ist.
Nach der Verbannung von Ochino wurde die italienischsprachige Gemeinde in Zürich aufgelöst. Warum?
Man fand, die sprechen jetzt Deutsch und können genauso gut gemeinsam mit uns Gottesdienst feiern. Dahinter steckte aber auch Skepsis gegenüber ihrem «konspirativen» Geist.
Was war denn konspirativ an den Locarnesi?
In der italienischsprachigen Gemeinde verkehrten auch Glaubensflüchtlinge aus Italien. Darunter waren zahlreiche Humanisten, die mit ihrem weltoffenen und kritischen Christentum nicht auf der Linie der Zürcher Reformierten waren. zum Beispiel Fausto Sozzini, wie Ochino aus Siena, der später in Polen den dritten Weg der Reformation, den Sozinianismus, begründete, der über Holland und Amerika zur unitarischen Kirche führte.
Vielleicht war Ochino aber wirklichlich eine schwierige Persönlichkeit?
In Italien war er als vom Papst eingesetzter apostolischer Prediger so etwas wie ein Popstar, der in den vollen Kathedralen der kulturellen Zentren Italiens den freien Glauben predigte. Die Menschen waren begeistert. Nach seiner Flucht vor der Inquisition fuhr er fort, sich für einen Frühling der katholischen Kirche in Italien einzusetzen. Nun nicht mehr mit Predigen, sondern mit Schreiben. Wahrscheinlich wurde es ihm bei den Reformierten mit der Zeit einfach zu eng.
Bei seiner ersten Station in Genf ist Ochino ja auch angeeckt.
Nein. In der ersten Zeit bei den Reformierten verhielt sich Ochino unauffällig. Es waren die politischen Umstände, die dazu führten, dass er immer wieder die Flucht ergreifen musste. In Genf war es sein Freund Sebastian Castellio, der angeeckt ist und der die Stadt fluchtartig verlassen musste, weil er sich mit dem Genfer Reformator Johannes Calvin überworfen hatte.
Warum haben Sie das Buch geschrieben, was hat sie fasziniert an Ochino?
Ochino ist mitsamt seiner reichen Lebensgeschichte und seiner kraftvollen Spiritualität vergessen gegangen. Das finde ich schade. Ich will mit meinem Roman über den Ketzer aller Konfessionen die Frage beantworten, was ihn in den Augen der Mächtigen in Kirche und Staat so gefährlich machte. Ich folgte seinen Spuren, um herauszufinden, was der Zauber seines widerständigen Geistes ist. Ich möchte Bernardino Ochino mit dieser Schrift ein Denkmal setzen.
«Ketzer aller Konfessionen. Die Odyssee des Bernardino Ochino» (TVZ, 2024). Lesung von Ueli Greminger und Gespräch mit dem Kirchenhistoriker Emidio Campi. Italienisch und Deutsch mit Übersetzung. Musik von Markus Largiadèr.
Do, 12. Dezember, 19 Uhr, Chiesa evangelica di lingua italiana, Zwinglihaus, Aemtlerstrasse 23, Zürich