Christliche Präsenz ausgelöscht

Religionsfreiheit

Die Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz und der Ökumenische Rat der Kirchen fordern ein Rückkehrrecht für die aus Bergkarabach vertriebenen Christen und hoffen auf die Politik.

Er gebe «den Stimmlosen eine Stimme», sagte der armenische Erzbischof Vicken Aykazian am 28. Mai in Bern. Er nahm nicht nur die eigene Gemeinschaft in den Blick, sondern alle religiösen und ethnischen Gruppen, die verfolgt werden und fürchten müssen, ihre religiöse und kulturelle Identität zu verlieren.

Die Armenierinnen und Armenier erleiden dieses Verbrechen zum wiederholten Mal. Diesmal in Bergkarabach. Im September 2023 überrannte die hochgerüstete Armee von Aserbaidschan die armenische Exklave, nachdem die Bewohner durch eine Blockade über Monate ausgehungert worden waren. Das aserbaidschanische Regime schaffte so in einem lange schwelenden Konflikt über Nacht Fakten, die christliche Bevölkerung wurde vertrieben.  

Zögerliche Diplomatie

Eine Konferenz, welche die Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz (EKS) zusammen mit dem Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) organisierte, rückte den Konflikt im Schatten der Schlagzeilen ins Scheinwerferlicht. Dabei setzt EKS-Präsidentin Rita Famos Hoffnungen in die Politik: Das Parlament verpflichtete den Bundesrat mit einer Motion, ein Friedensforum für Bergkarabach zu organisieren.  

Wichtig sei, dass der Vorstoss das Rückkehrrecht der armenischen Bevölkerung explizit erwähne, sagte EVP-Nationalrat Marc Jost gegenüber «reformiert.». Doch beim Bundesrat beobachtet der Parlamentarier eine Zögerlichkeit: «Sein Handeln scheint vor allem von wirtschaftlichen Interessen bestimmt.» Über den staatlichen Energiekonzern Socar hat Aserbaidschan massiv in der Schweiz investiert.

Anwaltschaft der Kirche

Famos sagte, dass die Neutralität die Glaubwürdigkeit der Schweiz als Vermittlerin im Ringen um den künftigen Status von Bergkarabach stärke. «Als Kirche hingegen setzen wir uns anwaltschaftlich für die Interessen der vertriebenen Bevölkerung ein.» Auf ihrer Armenienreise mit einer Delegation des ÖRK wurde sie Zeugin der Eskalation und erlebte, wie die Flucht auf die Betroffenen «retraumatisierend wirkte». 

Die armenische Identität bleibt geprägt von der Erinnerung an den Völkermord, den die jungtürkischen Truppen im Ersten Weltkrieg an den Armeniern verübt hatten.  In der Abschlusserklärung wirft der ÖRK dem aserbaidschanischen Regime denn auch eine «genozidale Absicht» vor: «Wir sind Zeugen der Auslöschung der jahrtausendealten Präsenz armenischer Christen in der Region und der Zerstörung von Kirchen, Friedhöfen, Denkmälern und anderen heiligen Stätten.»  

Die Wahrheit bezeugen

ÖRK-Generalsekretär Jerry Pillay rief die Mitgliedskirchen dazu auf, «weiterhin die Wahrheit zu bezeugen». Zu oft rechtfertige die Politik Wegschauen und Tatenlosigkeit mit falschen Behauptungen. An der Spitze vieler Staaten fehlten Politiker, «die ihre Macht dazu nutzen wollen, die Welt zum Guten zu verändern». 

Diese Lücke müssten nun die Kirchen füllen. «Gemeinsam haben wir die Kraft, Menschen zu bewegen», erklärte Pillay.  

Ein Stuhl bleibt leer 

Die Vereinten Nationen forderte der ÖRK dazu auf, ihrer Verpflichtung nachzukommen und das kulturelle und religiöse Erbe der armenischen Christen zu schützen. Ausgerechnet jener Stuhl, der für einen Vertreter der Unesco reserviert worden war, blieb in Bern allerdings leer.  

Mit seiner Konferenz vermochte der ÖRK aufzuzeigen, dass es beim Einsatz für aus Bergkarabach vertriebene Christen um mehr geht als um Solidarität: Der Schutz der religiösen Identität während der Besatzung «kann eine Quelle der Versöhnung sein». EKS-Präsidentin Famos betonte zudem die Bedeutung des interreligiösen Dialogs im Kampf für Religionsfreiheit.