Besitz. Das gibt es doch gar nicht! Bei mir jedenfalls nicht. Da bin ich anders. Besser. Ein durchschnittlicher Europäer, so lese ich, besitzt ungefähr 10 000 Gegenstände. Eine unglaubliche Zahl! Wofür brauchen die Leute den ganzen Kram? Ich wundere mich – über die andern. Bis ich eines Tages in den eigenen vier Wänden zu zählen beginne.
Zählung. Schon auf meinem fast leeren Bürotisch versammeln sich ein paar Dutzend Sachen, von der Büroklammer über die Computermaus bis hin zu Stiften und Schere. Bei den Büchern kratze ich bereits die Tausendergrenze (obwohl ich regelmässig ganze Beigen ins Antiquariat trage). Im Kleiderschrank befindet sich auch nicht wenig (obwohl ich regelmässig Altkleidersäcke fülle, beschämend oft auch mit kaum getragenen Stücken). In der Küche stapelt sich Geschirr, mit dem wir das halbe Quartier zum Essen einladen könnten. Im Badezimmer mit all den Salben und Seifen und Bürsten und Bürstchen wird es mir zu viel. Je genauer ich hinschaue, desto mehr Sachen kommen zum Vorschein. Ich höre auf und gebe mich geschlagen.
Täuschung. Ich brauche wenig zum Glücklichsein, sage ich mir gerne. Die abgebrochene Zählung zeigt allerdings eher das Gegenteil: Ich brauche einiges. Ziemlich viel sogar. Von den zehntausend Gegenständen des Durchschnittseuropäers bin ich jedenfalls nicht so weit entfernt, wie ich es gerne wäre. Auch ich häufe Güter an in der festen Überzeugung, diese zu benötigen.Ballast. Und was passiert mit den zehntausend Dingen? Ich schätze, dass neuntausend davon ebenso überflüssig wie unnütz sind. In der Hoffnung, dass sie mir das Leben erleichtern, habe ich sie einmal erworben – doch bald sind sie bloss noch Platzräuber. Gar nicht zu reden von all den Sachen und Sächelchen, die über die ganze Wohnung verteilt irgendwo herumstehen: Stehrumsel werden die heute genannt, ein durchaus passender Name. Etliche sind Erinnerungsstücke oder Geschenke, was die Entsorgung erschwert.
Einfachheit. Die Grenze zwischen Besitz und Besessenheit ist bedenklich schmal. Oft ist schwer auszumachen, ob ich den Besitz habe oder ob der Besitz mich hat. Die Weisen aller Zeiten und Kulturen wussten, was auf dem Spiel steht, wenn wir uns von äussern Dingen vereinnahmen lassen. In seltener Einmütigkeit loben sie das einfache Leben. «Wirf das Joch des Überflüssigen ab und du bist glücklich», heisst es kurz und bündig bei Fénelon.
Befreiung. Also weg mit all dem Kram! Das tut richtig gut. Eine Befreiung. Doch kaum habe ich meinen Besitz etwas verkleinert, stelle ich fest, dass mir einiges fehlt. Nicht viel, nur so ein paar Dinge, die eigentlich schon ganz nützlich wären. Und wenn ich jetzt nicht gut aufpasse, beginnt sie gleich wieder, die Geschichte von Stehrumsel und den Platzräubern.