Lieder für die grossen Gefühle

Musik

Klagefrauen, Hebammen, Prophetinnen: Trëi singen Lieder der Frauen, die Menschen in den Übergängen zwischen Leben und Sterben begleiten – poetisch, berührend, tiefgründig. 

Ein einziges Licht brennt im Raum. Darunter stehen schwarz gekleidet und einander zugewandt drei Frauen, ihre Augen sind geschlossen. Die schlanken Finger von Abélia Nordmann bewegen jetzt das Harmonium. Ein langgezogener warmer Ton erklingt. Dreistimmig setzt das Trio ein und singt: «One’s for sorrow, two’s for joy.» Sehr zärtlich und unendlich traurig, dann wieder klingt die Musik voller Freude. 

Der alte englische Kinderreim war namensgebend für das Programm, mit dem Trëi seit März 2023 an Musikfestivals, in Kulturhäusern und Kirchen im In- und Ausland unterwegs sind. Die Klagelieder, Wiegenlieder und Volksweisen, gesungen unter anderem auf Gälisch, Griechisch, Isländisch, Ladinisch, Bulgarisch, Türkisch und Armenisch, stossen beim Publikum auf solche Resonanz, dass das Programm «One’s for sorrow, two’s for joy» auch dieses und nächstes Jahr aufgeführt wird.

Die Sängerinnen und Instrumentalistinnen Mara Miribung (Cello), Gizem Simsek (Psalter) und Abélia Nordmann (Harmonium) erzählen im Gespräch mit «reformiert.», dass manche Leute immer wieder an die Konzerte kämen. 

Es fehle heutzutage an Räumen, in denen die tiefen und essenziellen Gefühle besonderer Lebensmomente gemeinsam durchlebt, betrauert oder gefeiert werden können, sagt Miribung. «Wir öffnen mit unserem Programm einen solchen Raum.»

Simsek, die in der Türkei aufgewachsen und mit der Tradition der Klagelieder verbunden ist, ergänzt: «Unsere Gesellschaft leidet an zu viel Logik, um der Logik und nicht um der Weisheit willen. Doch wir sollten nicht vergessen, dass wir auch emotionale Wesen sind.»

Das Lebendige kehrt zurück 

Mit ihren Arrangements und Kompositionen treffen die drei Künstlerinnen einen Nerv. Dank ihren unterschiedlichen musikalischen und kulturellen Hintergründen, die barockes und experimentelles Repertoire sowie Volkslieder und Instrumentalfarben aus Osten und Westen umfassen, bringt das Basler Trio auf einzigartige und poetische Weise zum Ausdruck, wie nah Tod und Leben beieinanderliegen und zum Menschsein gehören. 

Die Leute sind bewegt, sie spüren, es geht ums Menschsein in seinem allertiefsten und grundsätzlichsten Sinn.
Abélia Nordmann

Die in der Musik von Trëi ausgedrückte Wehmut wandelt sich immer wieder in Schönheit. Das Wilde, das Kraftvolle und Lebendige kehrt zurück, wird zu einer intensiv empfundenen Freude. Ein befreiendes und verbindendes Gefühl. 

«One’s for sorrow, two’s for joy» ist eine Hommage an all diejenigen, die über die Jahrhunderte hinweg Menschen in den Übergängen zwischen Leben und Sterben begleiten, die das Schwierige mit ihrem Ein- und Mitfühlen aushalten. Oft waren es Frauen: Klagefrauen, Hexen, Prophetinnen, Hebammen. 

«Viele wurden nicht gesehen, werden es bis heute nicht», sagt Nordmann. «Es ist aber doch essenziell, dass wir füreinander da sind in den Momenten der Geburt, des Todes, der Freude und der Verletzlichkeit.» In den Konzerten wird das erfahrbar. «Die Leute sind bewegt, sie spüren, es geht ums Menschsein in seinem allertiefsten und grundsätzlichsten Sinn.» 

Trëi: Debut – Nine and a Half Songs. 2024. 

Konzertdaten 2025: www.trëi.com 

Klagepsalmen

In der Bibel wird dem Klagen an verschiedenen Stellen Platz eingeräumt, zum Beispiel in den Klagepsalmen. Verzweifelt, voller Enttäuschung oder Wut wird Gott direkt und ungeschönt konfrontiert. Psalmen seien therapeutische Texte, schreibt die Theologin und Psychotherapeutin Monika Renz in ihrer Krankenbibel. Bevor der Mensch sich öffnen oder versöhnen könne, müsse er klagen oder fluchen dürfen. Ähnlich wie Volksmärchen führen die Klagepsalmen durch Not, Dunkel und Verwicklungen hindurch in die Befreiung und Entwicklung.