Keimzelle der Universität

Wissenschaft

Weil für sie die Theologie in die Öffentlichkeit gehörte und sie ihre Ideen auf allen Kanzeln durchsetzen wollten, gründeten die Reformatoren eine Vorläuferin der Universität.

Der Reformator Huldrych Zwingli war überzeugt, dass über die Bibel öffentlich diskutiert werden muss. Deshalb wollte er die theologische Arbeit und die Übersetzung der Bibel nicht hinter verschlossene Türen verlegen und rückte er sie in die Öffentlichkeit des Kirchenraums.

Diskussion und Predigt

So begann am 19. Juni 1525 im Chor des Grossmünsters ein grosses Stück Wissenschaftsgeschichte. Unter der Leitung ihres Leutpriesters und Chorherren Zwingli lasen und studierten die Geistlichen das Buch Genesis in den lateinischen und griechischen Übersetzungen sowie im hebräischen Urtext.

Die wissenschaftlichen Diskussionen führten die Theologen in lateinischer Sprache. Danach fasste ein Pfarrer die Debatte in einer Predigt auf Deutsch zusammen. 

Das letzte Kloster

Die Propstei des Grossmünsters war das einzige Kloster, das die Reformation überstanden hatte. Alle anderen Stifte waren aufgehoben worden und ihre Besitztümer vom Staat übernommen worden.

Auch das Chorherrenstift wurde einer radikalen Reform unterzogen. Sie hatte im Herbst 1523 begonnen. Bald musste das Stift seine Vogteirechte an den Zürcher Rat und den Bürgermeister abtreten. Auch kostbare liturgische Gegenstände wurden beschlagnahmt, viele Bücher aus der Bibliothek gingen in den Besitz der Stadt über. 

Tag der offenen Tür

Das 500-Jahre-Jubiläum der Prophezey begehen Theologie und Religionswissenschaften an der Universität Zürich mit einem Tag der offenen Tür am 19. Juni. Ergänzt wird das Programm mit Ausstellungen sowie zahlrei­chen Veranstaltungen und Vorlesungen. 

Zwingli formte aus dem Stift eine theologische Denkfabrik, die auch ein Weiterbildungszentrum für die Pfarrschaft war. Sie sollte helfen, die Reformation auf den Zürcher Kanzeln durchzusetzen.

Weiterbildung für Pfarrer

Alle Kleriker mussten die öffentlichen Vorlesungen in der Prophezey besuchen. Nach reformatorischem Verständnis brauchte es neben dem liturgischen Wissen neu auch die Fähigkeit, die Bibel im Urtext zu kennen und zu interpretieren. Dass die öffentliche Bibelauslegung mit dem Buch Genesis begann, ist bezeichnend für die Zürcher Reformation. Zwingli verstand das Alte Testament als Grundlage für die Interpretation des Evangeliums.

1524 schrieb der Reformator, dass er die in der Prophezey begonnene Arbeit am liebsten auch im persönlichen Studium fortgesetzt hätte: «Ich hatte mir freilich vorgenommen, eine Weile nichts zu schreiben, sondern ein halbes Jahr ganz damit zu verbringen, das hebräische, griechische und lateinische Alte Testament zu vergleichen.»

Zu viel Publikum

Die Kombination aus Lehrveranstaltung und Verkündigung war ein Erfolg. Insbesondere die Predigten zogen immer mehr Menschen an, so dass Zwingli schon wenige Monate nach dem Start veranlasste, dass gegen Ende der wissenschaftlichen Debatte die Glocken zum Zeichen läuteten, dass nun die Predigt beginne. 

Zuvor hatten die vielen Leute, die in Erwartung der Predigt in die Kirche strömten, das Gespräch der Gelehrten gestört. 

Koryphäen unterrichten

Weil das Grossmünsterstift weiterhin nicht aufgelöst wurde, blieb die Finanzierung der Prophezey über die Zeit der Reformation hinaus gesichert. Der Fächerkatalog wurde bald erweitert, schon 1541 kamen Ethik, Naturphilosophie und Studien zum Neuen Testament hinzu.

Eine Schulreform verfestigte die Vorlesungen zum Collegium Carolinum, das zwar keine Universität war, dessen Niveau aber laut dem Zürcher Kirchenhistoriker Tobias Jammerthal durchaus vergleichbar war mit dem universitären Lehrbetrieb. Nicht zuletzt, weil am Grossmünster mit Conrad Gessner (1516–1565) oder Johann Jakob Bodmer (1698–1783) wissenschaftliche Koryphäen lehrten.

Wiege der Fakultät

Als das Grossmünsterstift 1832 aufgelöst wurde, war auch das Carolinum Geschichte. Nur ein Jahr später wurde die Universität gegründet, deren Wurzeln also in den Bibelvorlesungen gründen, die vor 500 Jahren von Zwingli und seinen reformatorischen Mitstreitern ins Leben gerufen wurden.