Die Strukturreform der reformierten Kirche Schaffhausen ist eine kleine Revolution. Während vielerorts der «Plan P» als Notfallösung gegen den dramatischen Pfarrpersonenmangel diskutiert wird, setzt man in Schaffhausen auf einen ganz eigenen Weg. «Unser Ansatz ist eine Alternative dazu», betont Kirchenratspräsident Wolfram Kötter.
Von der Realität eingeholt
Der «Plan P» wurde Ende vergangenen Jahres von der Konkordatskonferenz bekannt gemacht und sieht im Grundsatz das Folgende vor: Akademiker mit einem Mindestalter von 55 Jahren können nach einer Berufseinführung eine Pfarrstelle übernehmen. Die Reaktionen waren mehrheitlich positiv, aus einigen Kantonalkirche kam jedoch Kritik.
Wolfram Kötter gibt zu bedenken: «Gelingt es wirklich, jemand innerhalb weniger Wochen, der aus einem ganz anderen Beruf kommt, in das System Kirche einzuführen?» Und er schlägt Alarm: «Die Realität holt uns langsam ein. Wer jetzt nicht reagiert, der hat verschlafen.» Längst schlägt der Fachkräftemangel auch im Kanton Schaffhausen durch. Aktuell gibt es fünf Vakanzen in der Kantonalkirche, die seit längerer Zeit nicht besetzt werden können.
Aufgespaltenes Pfarramt
Erstmals machen die Kirchgemeinden die Erfahrung, dass sich trotz mehrmaligem Ausschreiben keine Pfarrperson auf die ausgeschriebene Stelle bewirbt. Wolfram Kötter betont, dass die wenigen Pfarrpersonen, die es künftig noch geben wird, besonders gut ausgebildet sein müssen. «Es wird nicht mehr möglich sein, Pfarrpersonen in dieser Dichte zu haben, wie wir uns das wünschen. Deshalb sollten diejenigen, die vor Ort sind, top ausgebildet sein.» In in der reformierten Kirche Schaffhausen will man künftig auf ein Mischmodell setzen: Pfarrdienst, Prädikantendienst, Sozialdiakonie, Katechetik sowie den neu zu schaffenden Aufgabenbereich der Gemeindeleitung.
Ein Basispfarramt soll geschaffen werden, mit dem sichergestellt wird, dass das Team bei seiner Arbeit auf ausreichend theologisches Wissen zurückgreifen kann. Die Beteiligten aller fünf Berufsgruppen sollen ihre Stärken als gleichwertige Partner in multiprofessionellen Teams einbringen.
Welchen Umfang die jeweiligen Dienste haben, bestimmen allein die Kirchgemeinden. Die einzige kantonalkirchliche Vorgabe ist der Mindestumfang des «theologischen Sockels» von 25 Prozent des verfügbaren Stellenpensums einer Kirchgemeinde. Damit soll Raum geschaffen werden für individuelle personelle Lösungen.
Berufsgruppen aufwerten
Ein zentrales Anliegen der Reform ist, bisher oft stiefmütterlich behandelte Berufsgruppen wie Sozialdiakonie und Katechetik zu stärken. «Wir müssen Arbeitssituationen schaffen, in denen junge Frauen und Männer von ihrer Arbeit leben können.» Künftig soll es eine gewisse Anzahl von fest angestellten Katechetinnen und Katecheten geben, die nicht nur stundenweise bezahlt werden, wenn sie Lektionen geben, sondern auch in der familienpädagogischen Arbeit eingesetzt werden können. «Wir möchten kirchliches Arbeiten auf viele Schultern verteilen.»
Das klassische Bild der pfarrzentrierten Kirche müsse sich wandeln: «Wir benötigen gut ausgebildete Kräfte, die ihre Tätigkeit nicht nur als Hobby verstehen, sondern auch ein Stück weit die Verantwortung spüren für die Begleitung einer neuen Generation, die heranwächst.» Die Berufsgruppen erhalten mehr Kompetenzen. Kasualien wie Taufe, Heirat oder Abdankung sollen auch von anderen Berufsgruppen durchgeführt werden.
Das Kerngeschäft
Schwächt diese Neuerung den Pfarrberuf? Kötter macht klar: Kasualien bleiben noch immer dem Pfarrer vorbehalten. Doch es spreche nichts dagegen, wenn beispielsweise ein Prädikant, der jede Woche im Altersheim ist und ein Vertrauensverhältnis aufbaut, die Beerdigung für eine Person macht.
Kötter betont: «Wir stärken das Berufsbild Pfarrer, indem Pfarrpersonen wieder das tun können, wofür sie ausgewählt sind: Theologie betreiben. Pfarrinnen und Pfarrer müssen nicht Briefe diktieren oder Geld akquirieren, dafür soll es andere geben. Wenn jede Berufsgruppe ihre Spezifika herausstellen kann, dann können auch Pfarrerinnen und Pfarrer wieder ihre Stärken leben.»
Eine Reform von unten
Kötter sieht die Schaffhauser Reform als «Reform von unten»: Die Gemeinden entwickeln mit dem Kirchenrat Lösungen, die zu ihren Bedürfnissen passen. «Wir prüfen, welche pfarrdienstlichen Aufgaben auch von anderen Berufsgruppen übernommen werden können – jedoch stets mit der entsprechenden Qualifikation.»
Er betont: «Wir wollen keine Kirche, in der die Pfarrperson abgeschafft wird. Aber wir denken von der Kirchgemeinde her: Was braucht sie wirklich? Wenn es in einer Kirchgemeinde keine Kinder gibt, benötigt es dort keinen Jugenddiakon, vielleicht jedoch einen Sozialdiakon für ältere Menschen. Es geht darum, die vorhandenen Ressourcen sinnvoll und bedarfsgerecht einzusetzen.»
Kein Alleingang
Es werde keine Alleingänge geben, verspricht Kötter. Gerade was die Ausbildung und die Weiterbildung der Berufsgruppen angeht. «All das, was wir tun wollen, ist abgestimmt mit dem Konkordat, also mit der Ausbildungseinrichtung. Es wird noch zahlreiche Diskussionen geben. An der Wintersynode im November wird es einen Grundsatzentscheid geben, ob die Strukturreform weiterverfolgt oder fallen gelassen wird. Sollte sie angenommen werden, hat der Kirchenrat zwei Jahre Zeit, zu prüfen, welche Bildungsmodule in den verschiedenen Bereichen eingesetzt werden sollen.