Das reformierte Pfarramt in der Schweiz hat seit der Reformation im 16. Jahrhundert tiefgreifende Veränderungen erlebt. Einst ein Amt der Verkündigung in einer Staatskirche, versteht es sich heute als vielseitigen Dienst in einer pluralistischen, säkularen Gesellschaft.
Die Bibel allein
Die Wurzeln des Pfarramts reichen zurück zur Reformation, geprägt von Huldrych Zwingli in Zürich und Johann Calvin in Genf. Im Zentrum des neuen Glaubens stand die Verkündigung des Evangeliums, allein die Bibel galt als Glaubensquelle.
Der Pfarrer war nicht länger Mittler zwischen Gott und Mensch wie im katholischen Verständnis, sondern Prediger, Lehrer und Seelsorger. In Zentrum seiner Arbeit sollte die Liebe stehen. «Die Liebe ist dem evangelischen Lehrer notwendig, damit alle Dinge nach ihr gerichtet und gemessen werden», schrieb Zwingli.
Die Nähe zum Staat
Das reformierte Pfarramt war lange eng mit Gemeinde und Staat verflochten. Bis ins 19. Jahrhundert war der Pfarrer Teil eines staatskirchlichen Systems. Er war keine freigeistige Kanzelautorität wie in den Freikirchen, sondern ein von der Obrigkeit überwachter Gemeindediener.
Seine Aufgaben reichten weit über das Religiöse hinaus: Er unterrichtete die Kinder, leitete das Sozialwesen, wachte über die Moral und führte das Zivilstandsregister. Vor Einführung der Sozialversicherungen war er oft erste Anlaufstelle in Not. Pfarrer organisierten Suppenküchen, betrieben Waisenhäuser und kümmerten sich um Pflegekinder. In Zürich entstanden Diakonissenhäuser und Armenvereine, in Basel die Basler Mission und gemeinnützige Wohnhilfen. Mit ihrer Bildung prägten Pfarrer über Jahrhunderte Kultur und Wissenschaft und dienten als Schreiber zwischen Volk und Obrigkeit.
Eine warme Suppe
Auf dem Land kannte der Pfarrer jede Familie persönlich. Er war Lehrer, Prediger, Seelsorger, Heiratsberater, Krankenbetreuer und Vermittler bei Streitigkeiten.
Im 19. Jahrhundert veränderten soziale und insbesondere liberale Umwälzungen das Verständnis von Kirche und Pfarramt. Kantone demokratisierten ihre Kirchenverfassungen. Das Theologiestudium wurde zur Voraussetzung für die Ordination.
Viele Aufgaben, die früher das Pfarramt versah, liegen heute beim Staat. Doch nach wie vor fallen Menschen durch die Maschen des Sozialstaats. Pfarrer Ernst Sieber sorgte in den 1980er-Jahren für Aufsehen, als er in kalten Nächten Obdachlose einsammelte und unterbrachte. «Der Staat kann nicht lieben» oder «Ein Bett und eine warme Suppe brauchen keine Bewilligung», erklärte Sieber und stellte sich damit gegen die Behörden. Aus diesem Engagement entstand das Sozialwerk Pfarrer Sieber.
Die Pfarrfamilie
1524 heiratete der Zürcher Reformator Zwingli die Witwe Anna Reinhart, ein Jahr später nahm Martin Luther die Nonne Katharina von Bora zur Frau. Mit dem Bruch des Zölibats begründeten die Reformatoren eine Tradition, die das protestantische Pfarramt und das bürgerliche Familienbild über Jahrhunderte prägte: die Pfarrfrau.
Die Geschichte der Pfarrfrau ist eng mit der Entwicklung des Pfarrhauses und der Stellung der Frau in der Gesellschaft verbunden. Die protestantische Familie wird zum bürgerlichen Vorbild: Hier herrschten Zucht, Moral und Bildung, hier feierte man das Kirchenjahr mit Tannenbaum, Osterhase und Karfreitag.