Von der Vegetarierin zur Fleischproduzentin

Fleisch

Regula Leutenegger züchtet Ziegen und Zebus und produziert Biofleisch. Ihre Tiere begleitet sie von der Geburt bis kurz vor dem Tod.

Belin, Dynamit und Balthasar trotten aus dem Stall an die Wintersonne. Die drei Zebu-Rinder gehören zu einer 19-köpfigen Herde, welche die steilen Südhänge des Walliser Dorfs Ausserberg von Gestrüpp und unerwünschten Pflanzen frei hält. Zebu-Rinder sind klein, genügsam und ursprünglich in Südostasien daheim. Dynamit und seine Herde sind auf dem Biohof von Regula Leutenegger zu Hause – bis die Tiere geschlachtet werden. 

Leuteneggers Zebus sind also definitiv Nutz- und keine Haustiere. Trotzdem hat jedes einen Namen. «Ich taufe alle meine Tiere. Aus Respekt. Ich möchte, dass sie als Individuen wahrgenommen werden, solange sie auf dieser Welt sind», so die 34-jährige Landwirtin. Bei manchen ihrer Tiere ist das nicht besonders lange: Die Geisslein, die nun bald in der «Zickenstube» zur Welt kommen, werden bereits neun Monate später geschlachtet. 

Regula Leutenegger war ein Stadtkind in Bern und wurde Bäuerin im Wallis. Lange ernährte sie sich vegetarisch, doch heute isst sie wieder Fleisch. «Aber nur Fleisch meiner eigenen Tiere», präzisiert sie. Als sie nach der Ausbildung zur Landwirtin das Abenteuer Selbstständigkeit wagte und den Bauernhof in Ausserberg übernahm, entschloss sie sich, wieder Fleisch zu essen. «Es hätte sich falsch angefühlt, ein Produkt anzubieten, das ich selbst nicht konsumieren kann.» 

Warum züchtet eine ehemalige Vegetarierin Tiere, die geschlachtet werden? «Als Bäuerin haben mich Tiere immer mehr interessiert als Ackerbau», antwortet Leutenegger. Ebenso klar war für sie, dass sie einen Hof im Berggebiet führen wollte. Hier oben könne man aber die Landschaft nicht von Menschenhand pflegen, zu diesem Zweck seien Tiere nötig. «Manche von ihnen werden geschlachtet, aber das gehört für mich zum Kreislauf der Natur.» 

Das Fleisch ihrer Zebus und Ziegen isst sie ohne schlechtes Gewissen, mit Genuss und vor allem mit viel Dankbarkeit. «Ich weiss, dass die Tiere hier ein gutes Leben hatten, was sie gefressen haben und dass ich sie fast bis zum Schluss begleiten konnte.» Leutenegger hält inne und krault eines der Zebus, das an den Zaun gekommen ist, als es ihre Stimme hörte. «Fast bis zum Schluss – aber nicht ganz. Das hätte ich gerne anders.» 

Der Stress im Schlachthof 

Regula Leutenegger fährt ihre Tiere selbst zum Schlachthof. Sie lädt das Tier aus und verabschiedet sich. Sie sagt ihm noch einmal Danke für alles, was es ihr gegeben hat. «Chum guet übere», sagt sie jeweils und geht. Wenn das Tier erschossen wird, darf sie aus betrieblichen Gründen nicht dabei sein. Eigentlich möchte sie aber. «Das Tier hätte weniger Angst, wenn eine vertraute Person dabei wäre.» Für ein Herden- und Fluchttier wie ein Rind sei der Stress im Schlachthof enorm. 

Aus diesem Grund möchte Regula Leutenegger ihre Tiere direkt auf dem Hof töten lassen. Ein schwieriges Projekt: Die Hygienevorschriften sind streng, die Umsetzung ist schwierig und teuer. «Aber für das Tier wäre es ganz klar die beste Art zu sterben – wenn man das überhaupt so sagen darf.» Das Tier würde in seiner gewohnten Umgebung und in der Herde geschossen. «Ich will das irgendwann hier umsetzen, auch wenn es sich wirtschaftlich nicht lohnt», sagt sie. 

Wir müssen alle viel bewusster und weniger Fleisch essen.
Regula Leutenegger, Biobäuerin

Der wirtschaftliche Aspekt: ein schwieriges Thema. «Vom Verkauf meiner Produkte könnte ich nicht leben», erklärt die Bäuerin. «Wie fast jeder Hof in der Schweiz – insbesondere im Berggebiet – hänge ich am Tropf des Staats.» Direktzahlungen und Ökologiebeiträge sichern das Überleben des Hofs, des letzten Vollerwerbsbetriebs im Dorf. Die Nutzfläche ist mit 36 Hektaren klein und zwischen 850 und 1350 Metern Höhe verzettelt. 

Die Landwirtin trägt die finanzielle Verantwortung für Hof und Tiere. Ihr Mann Peter, ebenfalls gelernter Landwirt, hilft bei den Arbeiten, hat sich aber als IT-Fachmann selbstständig gemacht. Sein Lohn fliesst nicht in den Bauernbetrieb. Regula Leutenegger findet, die Politik hätte es durchaus in der Hand, die Landwirtschaft in der Schweiz ökologischer und tierfreundlicher zu machen. Und auch die Konsumentinnen und Konsumenten hätten Einfluss: «Wir müssen alle viel bewusster und weniger Fleisch essen.» 

Das Biolabel als Minimum 

Bewusst Fleisch zu essen, heisst für Regula Leutenegger mehr, als beim Grossverteiler nach Biofleisch zu greifen. Das ist für sie das Minimum. «Bio garantiert nicht das ultimative Tierwohl.» Wozu rät sie? «Kauft euer Fleisch direkt ab Hof. Unterstützt Betriebe, wo es die Tiere gut haben und ihr das auch mit eigenen Augen sehen könnt.» 

Aus Leuteneggers Perspektive geht es Nutztieren dann gut, wenn sie möglichst artgerecht leben können. «Wenn sie entscheiden, wann sie fressen und wo sie liegen. Wenn sie genug Bewegung haben und soziale Kontakte ausleben können.» 

Inzwischen scheint die ganze Zebu-Herde ihren Ausführungen zu lauschen. Wie ein aufmerksames Publikum haben sich die Tiere um ihre Besitzerin gruppiert. Dynamit, der Stier, lässt sich von Leutenegger den Hals kraulen, Kalb Carola knabbert an den Schuhbändeln der Besucherin. «Das Schwierigste ist immer, wenn ich entscheiden muss, welches Tier zum Metzger geht und welches weiterleben darf», sagt die Bäuerin. «Das zerreisst mir das Herz.» Und dann, an eines der Zebus gewandt: «Hör nicht zu! Du wirst nicht geschlachtet.»